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Melodie des Südens

Melodie des Südens

Titel: Melodie des Südens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gretchen Craig
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den »Bahnhöfen« schicken konnte.
    Hinter einer der Hütten tauchte eine alte Frau auf, die acht oder neun Kinder bei sich hatte. Sie liefen hinter ebenso vielen Hühnern her. Als sie ihn sah, blieb sie erstaunt stehen.
    »Suchen Sie jemanden, Mister?«, fragte sie. Die Kinder versammelten sich um sie und blickten scheu hinter ihren Röcken hervor. Sie waren alle barfuß und halb nackt, aber schließlich war es Sommer. Die meisten hatten einen oder zwei Finger in den Mund gesteckt, und alle hatten glatte Haut und leuchtende Augen. Keines hatte einen aufgetriebenen Bauch, wie er es schon mehr als einmal bei Kindern gesehen hatte, die nicht genug zu essen bekamen.
    Er wollte gerade antworten, als er Marianne Johnstons Stimme aus einer nahe gelegenen Hütte hörte. Jedenfalls glaubte er, dass sie es sein musste. »Autsch!«, rief sie. »Lass es sein, Annie, ich setze einfach eine Haube auf.«
    Yves vergaß die alte Frau und die Kinder, als Marianne mit dem Rücken zu ihm in der Tür erschien. Sie trug ganz offensichtlich keinen Reifrock, und die Falten ihres Rockes erlaubten ihm, die tatsächliche Form ihrer Hüften zu erahnen, bevor sie sich zu ihm umdrehte.
    »Du bleibst hier, Annie«, befahl sie dem Mädchen. »Lena wird einen frischen Eimer Wasser brauchen.«
    Marianne lief die Treppenstufen herunter, den Blick auf den Boden gerichtet. Er hatte noch nie eine Frau, jedenfalls keine weiße Frau, gesehen, die so aufgelöst gewesen war wie sie. Die sonst stets makellose Marianne Johnston sah aus, als hätte sie in ihren Kleidern geschlafen, und die Bluse war aus dem Rockbund gezogen. Unter ihren Augen waren dunkle Ringe zu sehen, die ihre Haut müde aussehen ließen. Eine Haarsträhne neben ihrem Ohr schien vollkommen verfilzt, während ihr übriges rotbraunes Haar lose über die Schultern fiel.
    Das war die echte Marianne Johnston, ohne jede Ahnung, dass sie beobachtet wurde. Yves hatte noch nie eine so hinreißende Frau gesehen.
    »Mr Chamard!« Marianne blieb stehen, legte eine Hand an ihren offenen Blusenkragen und errötete tief. Sie blickte ihn an, als wünschte sie ihn ans andere Ende der Welt.
    »Miss Marianne.« Die Sonne schien auf den keuschen weißen Musselin ihrer Sommerbluse, warf einen Schatten auf ihre Brüste und ließ ihre Brustwarzen erahnen. Dieser Anblick war bei Weitem interessanter, als wenn man sie auf einem Ball sah, wo jedes Härchen am richtigen Platz saß und ihr Busen mit Bänden und Spitzenvolants bedeckt war.
    Marianne drehte die verfilzte Haarsträhne um ihren Finger und berührte dann noch einmal den offenen Knopf an ihrem Hals. »Was tun Sie hier? Ich meine, hier bei den Sklavenunterkünften?«
    »Ich mache nur einen Spaziergang.« Er blickte fragend auf die Hütte, aus der sie gerade gekommen war, als wollte er gern durch die Wand sehen.
    Mariannes Mund wurde zu einer schmalen Linie in ihrem hübschen Gesicht. Vor Zorn wurden ihre blauen Augen fast violett. Faszinierend.
    »Die Hunde haben einen Jungen angegriffen. Er wird nie wieder so sein wie vorher. Nie wieder.«
    So ein entschlossenes Kinn und ein solches Feuer in den Augen waren in der guten Gesellschaft von New Orleans noch nie gesehen worden. Mit Sicherheit war die reizende Lindsay Morgan in ihrem Leben noch nicht so errötet oder hätte gar ihre Wut oder sonst eine Gefühlsregung öffentlich gezeigt – sie war immer nur nett und angenehm.
    »Ein Ausreißer?«, fragte er.
    »Ja, aber das ist doch kein Grund, einen Menschen von Hunden zerreißen zu lassen. Das ist doch kein Grund …«
    Yves hob eine Hand, um sie zum Einhalten zu bewegen. »Ich will mich darüber nicht mit Ihnen streiten«, sagte er und versuchte, ihr damit klarzumachen, dass er derselben Meinung war.
    Aber seine Worte schienen sie nicht zu beruhigen, sondern nur noch wütender zu machen. »Nein, natürlich nicht«, fauchte sie ihn an. »Sie würden sich niemals dazu herablassen, mit einer Frau zu streiten.«
    »Ich meinte doch nur …«
    Sie hob ihre Röcke, wobei immerhin ein weißer Spitzenunterrock sichtbar wurde, und ging mit schnellen Schritten davon, sodass ihr Haar hinter ihr her wirbelte, auch die lächerliche verfilzte Strähne. Ihre Stiefel waren voller Schlamm.
    Er fand sie einfach großartig.
    Marianne Johnston, dachte er. Nicht die hochmütige, gelangweilte Schönheit, die er im letzten Winter beobachtet hatte, wie sie hinter ihrem Fächer ein Gähnen verbarg, während irgendein junger Kerl versuchte, amüsant zu sein.
    Ohne Eile folgte er

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