Melodie des Südens
betrieb Frederick Douglass eine Zeitung, deren Motto lautete: »Das Recht hat kein Geschlecht, die Wahrheit hat keine Hautfarbe, Gott ist unser aller Vater, und wir sind alle Geschwister.« Im letzten Jahr hatte Yves ein halbes Dutzend Artikel für das Blatt geliefert. Marcel schrieb Gedichte, Yves verfasste Berichte über die Sklaverei. Unter dem Pseudonym Daniel Rivers hatte er bei den Liberalen des Nordens einige Anhänger gewonnen. Natürlich kannte niemand, nicht einmal Douglass, seine Identität. Es wäre reiner Selbstmord, wenn er zu Hause als aktiver Befürworter einer Abschaffung der Sklaverei bekannt geworden wäre.
Der Gedanke an sein eigenes Risiko erinnerte ihn daran, dass Marianne noch einige Anleitung in Geheimhaltung brauchte. Sie war viel zu offen und naiv, um die Gefahren zu erkennen. Es gab Menschen in Louisiana, sogar Menschen, die sie kannte und gern mochte, die ihr und ihrer Familie schweren Schaden zufügen könnten, wenn sie wüssten, was für eine Reise das gewesen war, die sie letztlich auf Ebenezers Maisfeld geführt hatte. Und er sprach nicht von Menschen, die gehässige Bemerkungen gemacht oder sie auf der Straße nicht mehr gegrüßt hätten. Anschläge, Mord, Brandstiftung – all das war möglich, und das Gesetz begünstigte in diesem Punkt ohnehin die Sklavenhalter in unvernünftiger Weise. So sah Yves die Sache.
Als sie die lebhafte Stadt Natchez erreichten, beschlossen sie, sich auf der Hauptstraße zu trennen. Während Yves zur Poststelle ging, um seinem Vater und Gabriels Mutter Cleo zu schreiben, würde Marianne versuchen, Heilkräuter und Medizin für Gabriel zu kaufen, und dann einen Bekleidungsladen aufsuchen. Pearls Stiefel hatten sich im Regen aufgelöst, und Marianne wollte ihr ein Paar Lederschuhe und außerdem ein paar Kleider für sie beide kaufen.
Yves stellte sich Marianne in einem schlecht sitzenden billigen Kleid vor. Er hätte wetten mögen, dass die Herrin von Magnolias noch nie in ihrem Leben ein Kleid getragen hatte, das nicht maßgeschneidert gewesen war.
Sobald seine Briefe auf dem Weg waren, suchte sich Yves einen Pferdehändler. Er handelte, so scharf er konnte und erstand eine schwarze Stute, ohne viel mehr als den angemessenen Preis zu bezahlen. Dann kehrte er zu der Straßenecke zurück, an der er sich mit Marianne verabredet hatte, und wartete.
Er wartete lange. Auf der anderen Straßenseite befand sich ein vornehm aussehendes Barbiergeschäft. »William Tadman, Besitzer«, stand auf dem Schaufenster. Mr Tadman hatte etwas aus sich gemacht, dachte Yves. Sein Vater und Tadmans Vater waren gute Freunde; der Sohn, William, war wie Gabriel ein Freigelassener mit einem weißen Vater.
Einige gut angezogene Männer gingen mit Haaren über den Ohren hinein und kamen sehr sauber gestutzt wieder heraus. Yves überlegte, ob er hineingehen sollte, um William einen guten Tag zu wünschen, aber er war sicher, sobald er das tat, würde Marianne auftauchen, und er wollte ihr keine Gelegenheit geben, den moralischen Zeigefinger zu erheben. Sie hatte ihn ohnehin schon ganz schön am Gängelband. Er war ein paar Mal nah daran gewesen, sie zu verführen, und wenn er nicht aufpasste, platzte er mit einem Heiratsantrag heraus. Darauf würde es natürlich irgendwann hinauslaufen, aber nicht jetzt. Nicht mit dem drohenden Krieg und nicht, solange er sich noch nicht entschieden hatte, wie er sich im Kriegsfall verhalten würde. Es waren einfach unsichere Zeiten, zu unsicher, als dass er einer Frau vorschlagen konnte, ihr Glück von ihm abhängig zu machen.
Endlich tauchte Marianne auf, Pearl dicht hinter ihr. Beide trugen einige Pakete in braunem Packpapier, und sie hatten beide neue Hauben auf und anständige, wenn auch nicht besonders vornehme Kleider an. Natürlich war dieser leichte Stoff nicht mit dem zu vergleichen, was Marianne sonst trug, aber sie strahlte in dem Baumwollkleid genauso, wie er sie bisher in Satin erlebt hatte. Eigentlich war sie so noch verführerischer, denn sie wusste offenbar nichts von ihrer Ausstrahlung.
»Du hast doch hoffentlich nicht lange warten müssen?«, fragte sie außer Atem.
Er hatte die Absicht gehabt, ihr eine grantige Antwort zu geben, aber sie war einfach unwiderstehlich. Ihre neue Haube aus einfachem Stroh und nur mit dem absolut notwendigen Maß an Bändern, konnte ihr Haar nicht bändigen, das sich in der feuchten Luft von Natchez noch mehr kräuselte als sonst. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Augen strahlend blau. Er
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