Melville
nachtblauen Kostüm und mit übermäßig großen
Sonnenblumen-Ohrringen betritt sein Büro, gefolgt von einem halben
Hemd von Mann, der sich anscheinend versucht hinter ihr zu
verstecken. Ich kann mir das Grinsen kaum verkneifen.
„Guten
Abend, Ms Manister, schön Sie in meinem bescheidenen Reich begrüßen
zu dürfen.“, spricht mein Primogen und verbeugt sich kurz höflich.
„Ach,
Rudolf, hast du schon wieder vergessen, dass wir uns seit den
Feierlichkeiten diesen Sommer duzen? Und von ‘bescheiden’ kann ja
wohl keine Rede sein. Deine Aussicht ist ja phantastisch!“ und mit
diesen Worten nähert sie sich dem Fenster. Ich und ihr Begleiter
bleiben verwundert stehen, während er ihr folgt und mit
butterweicher Stimme antwortet
„Aber
nein, Cybill, das habe ich nicht. Ich dachte nur, da es offiziell
ist, möchten wir die Form wahren.”.
„Deine
Förmlichkeit in allen Ehren, aber wir sind ja sozusagen unter uns.
Sieh sich einer diesen Nachthimmel an, ist es nicht herrlich? Weißt
du deinen Luxus überhaupt noch zu würdigen, Rudolf?”. Ich bin
erstaunt über so viel Intimität zwischen den beiden und auch mein
Primogen scheint sich etwas schwer damit zu tun. Aber er kennt sie ja
wohl schon eine Weile.
„Man
vergisst schnell, was man hat, wenn niemand zu einem kommt und darauf
hindeutet.”.
„Jetzt
bin ich ja hier.“, sagt sie, wendet sich wieder dem Raum zu und
lächelt ihn freundlich an.
„Widmen
wir uns doch dem Pflichtteil, Cybill, wir können uns anschließend
gerne weiter unterhalten.”. In mir keimt der Verdacht, dass
zwischen den beiden mehr als Freundschaft existieren könnte. Eine
furchtbare Vorstellung.
„Das
ist ein Kind meines Hauses, Daniel De Groote.“, sagt sie plötzlich
inbrünstig und deutet auf den bleichen und halb gebeugt dastehenden
Mann. Dieser fährt kurz erschrocken zusammen, fast, als hätte sie
ihn aus einem Nachttraum gerissen, und lächelt dann angestrengt in
die Runde.
„Er
ist gerade frisch aus Belgien eingetroffen und hat für die Londoner
Domäne wichtige Entdeckungen gemacht.”. Ihre Stimme soll wohl
mystisch klingen, ich fühle nur, wie seine Unglaubwürdigkeit weiter
steigt. Und allein schon dieser Name. ‘De Groote’, wenn mich
meine Sprachkenntnisse nicht ganz täuschen, heißt es ‘Daniel der
Große’. Und auch ‘Daniel’ bedeutet irgendetwas mit ‘mächtig’.
Falscher kann ein Name nicht sein. Ich blicke kurz zu meinem
Primogen, er muss diese humoristische Bedeutung auch bemerkt haben.
Doch er verzieht keine Miene.
Sie
geht auf diesen Daniel zu und zieht ihn fürsorglich näher zu uns.
Und um Mr von Hohentannen meine hervorragende Erziehung durch
Benedict zu beweisen, denn er hat anscheinend nicht vor sich oder
mich vorzustellen, gehe ich erst auf Ms Manister zu, verbeuge mich
und sage
„Guten
Abend, Primogenin Manister. Mein Name ist Lancaster und es ist mir
eine Ehre mit Ihrem Clan zusammen arbeiten zu dürfen.”. Ich reiche
ihr nicht die Hand und nötige ihr auch sonst keinen Körperkontakt
auf, ganz wie es die Höflichkeit gebietet. Sie lächelt mich nur
etwas amüsiert an, doch ich wende mich unbeirrt weiter an ihren
Begleiter
„Auch
Ihnen einen Guten Abend, Mr De Groote, es freut mich, Sie als
Klüngelsprecher in London begrüßen zu dürfen.”. Ich reiche ihm
dabei die Hand. Seine Finger legen sich wie eine amorphe Masse in
meine und sofort ist mir klar, er wird gnadenlos untergehen, wenn er
sich nicht an meine Bedingungen hält. Und mit Erleichterung lächle
ich ihm zu und während er Freundlichkeit dahinter vermutet und auch
zaghaft lächelt, weiß er nichts von meinen Gedanken.
„Ich
danke Ihnen, Mr Lancaster, dass Sie mich so aufmerksam begrüßen.”.
Sein leicht niederländisch klingender Dialekt ist nicht zu
überhören, doch anscheinend beherrscht er annähernd das Englische.
Mein
Primogen fährt fort
„Nun,
da wir einander kennengelernt haben, erzählen Sie uns doch bitte von
Ihren Erkenntnissen, Mr De Groote.”. Dieser blickt erst zu Ms
Manister und nachdem sie ihm aufmunternd zunickt, beginnt er zu
erzählen.
„Es
war letzte Woche Dienstag, ich habe mich ein wenig mit der belgischen
Literatur beschäftigt, als mich etwas in einen zwanghaften Schlaf
riss. Ich habe Bilder gesehen, die sehr verstörend waren. Ich habe
Personen schreien gehört, ich konnte Blut und Tod riechen. Ich stand
in einer Ruine und habe Englisch sprechende Kainiten dabei
beobachtet, wie sie in purem Blutdurst übereinander herfielen,
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