Memed mein Falke
Geldscheine aus der Tasche.
»Da, nimm, mein Sohn, das ist für dich. Nun hör einmal gut zu. Du gehst sofort nach Değirmenoluk und sagst meinen Leuten, sie sollen drei von den Schafherden in die Çukurova treiben. Dieser Verfluchte darf dich aber nicht zu Gesicht bekommen. Du kannst bei Nacht ins Dorf gehen, damit dich niemand sieht. Dann schickst du einen von den Tagelöhnern nach Çağşak und läßt ihn deine Sachen holen. Du kommst gleich wieder zurück und bringst mir Nachricht, wie es meinen Kindern geht. Ich muß wissen, was der Verfluchte mit ihnen gemacht hat. Jetzt iß erst etwas, und dann mach dich auf den Weg.«
Ali der Hinkende fing wieder an zu heulen. »Bitte, tue mir das nicht an, lieber Aga, schicke mich nicht zurück! Der Verfluchte tötet mich!«
Abdi Aga wurde zornig. »Du machst das, was ich dir sage! Wer weiß, ob die Gendarmen ihn nicht schon längst erwischt haben. Was versteht er denn von der Banditenspielerei!«
»Gut, Aga, ich gehe sofort. Er ist ja noch ein Anfänger.« Alis Essen wurde gebracht. Er schlang es schnell hinunter, dann zog er ab. In pausenlosem Weg kam er in anderthalb Tagen wieder zu dem Haus von Ümmet dem Blonden. Es war um Mitternacht. Er stieß einen leisen Pfiff aus. Ümmet kannte ihn und öffnete sofort.
»Willkommen, Bruder! Sprich leise, das Haus ist voll von Gendarmen. Sie waren hinter eurem Memed her und sind jetzt auf dem Rückweg. Sie schlafen fest. Sergeant Asim war ganz von Sinnen, kann ich dir sagen. Dabei lassen es sich eure Burschen im Strohschober wohl sein, bei einem Lamm, das ich ihnen gebraten habe! Dieser Ince Memed muß ja ein stahlharter Bursche sein. Und ein feiner Kerl obendrein, redet nicht viel und hält sich so zurück, als hätte er mit sich selber genug zu tun. Das kann man auch an seinen Augen sehen, in denen leuchtet es manchmal so auf ... Du wirst sehen, er wird noch mal der berühmteste Bandit in diesen Bergen! Komm, ich führe dich zu ihm.«
Vor dem Schuppen hob Ümmet der Blonde zwei Steine auf und schlug sie dreimal gegeneinander. Leise wurde die Tür geöffnet. »So, da bin ich wieder«, sagte Ali der Hinkende.
»Willkommen«, erwiderte Memed. »Hör einmal, Ali Aga, dein Freund Ümmet hat das Herz auf dem rechten Fleck. Ein anständiger Mann. Jeder andere hätte uns längst ans Messer geliefert! Gut, daß du gekommen bist.«
»Bruder, ich habe ihn gefunden! In Aktozlu sitzt er, bei Hüseyin Aga am Feuer.«
Außer sich vor Freude, zündete Memed ein Streichholz an und vergaß alle Vorsicht. Als die Kienfackel brannte, näherte er sich leise dem Lager in der Ecke, auf dem Cabbar und Sergeant Recep schliefen. Er stieß Cabbar an. Der riß sofort die Augen auf und packte sein neben ihm liegendes Gewehr. »Alles in Ordnung, Cabbar. Ich bin's nur.«
»Was ist denn los?«
»Ali ist zurück.«
»Hat er ihn aufgespürt?«
»Ja, jetzt klappt die Sache.«
»Und gehen wir sofort los?«
»Ja. Aber was machen wir mit Sergeant Recep? Es steht schlimm mit ihm. Jetzt kann er den Hals nicht mehr bewegen und denkt, es wäre zu Ende mit ihm. Sollen wir ihn lieber hierlassen?«
»Der bleibt nicht, Memed. Er macht uns einen Höllenspektakel.«
»Ja, es hilft nichts, wir müssen ihn wecken.«
Cabbar rüttelte den Sergeanten. Recep drehte sich auf die andere Seite und schlief weiter.
»Sergeant, steh auf!«
»Ich kann doch nicht«, stöhnte Recep. »Laßt mich in Ruhe, ich sterbe.«
»Los, Sergeant, steh auf, Mann! Wir müssen sofort weg!«
Cabbar zerrte ihn an der Hand hoch.
»Laßt mich doch! Ich sage euch, ich muß sterben, sterben muß ich ... «
»Sergeant, steh auf! Du bist doch unser Bandenführer, unser Löwe, du kannst doch nicht liegen bleiben!«
Sobald Cabbar seine Hand losgelassen hatte, war Recep auf das Lager zurückgefallen und auf der Stelle wieder eingeschlafen.
»Der arme Kerl«, sagte Memed. »Zum ersten Mal seit Tagen schläft er wieder, nachdem er sich dauernd herumgewälzt hat!« Dann packte er ihn an den Handgelenken, zog ihn hoch, flüsterte ihm ins Ohr: »Sergeant, Sergeant! Abdi Aga ist in Aktozlu. In Aktozlu! Ali der Hinkende ist da. Ali der Hinkende!«
Sergeant Recep öffnete die Augen. »Hat er ihn gefunden? Dann hat er seine Haut gerettet. Sonst hätte ich ihm unweigerlich den Garaus gemacht.«
Er stand auf. Sein Gesicht war verzerrt. Solche Anstrengung kostete es ihn, den Schmerz zu verbeißen.
»Schaut noch mal nach meiner Wunde, bevor wir losziehen. Burschen, jetzt wird Sergeant Recep die beste Tat seines Lebens vollbringen.
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