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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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das Geräusch nächtlichen Kleingetiers.
Memeds Inneres floß über von grellem, gelb strahlendem Licht. In zehn, elf Tagen ... die Vorfreude überströmte ihn so, daß er fast die Besinnung verlor.
Hatçe war Osmans Tochter. Osman war ein ruhiger, sanfter Mann, der sich immer abseits hielt. Aber Hatçes Mutter war eine Plage Allahs. Es gab keinen Streit und kein Durcheinander im Dorf, an dem sie nicht ihren Anteil gehabt hätte. Die große, stark gebaute Person machte alle Arbeit im Haus und auf dem Feld.
Memed und Hatçe hatten ihre Kinderjahre zusammen verbracht. Unter den kleinen Buben war es Memed gewesen, der das schönste Puppenhaus hatte bauen können, und Hatçe hatte verstanden, es am besten auszuschmücken. Schon damals waren sie sich immer einig gewesen. Wenn ihnen die Spiele der anderen Kinder zu langweilig geworden waren, gingen sie immer zusammen weg und erfanden dann meistens neue ... Als Hatçe fünfzehn Jahre alt geworden war, war sie täglich zu Memeds Mutter gekommen, um bei ihr Strumpfstricken zu lernen.
Döne hatte ihr die schönsten Muster gegeben und ihr auch die Zierstiche beigebracht. Manchmal hatte sie ihr zärtlich übers Haar gestrichen und gesagt: »Wenn Allah will, wirst du eines Tages meine Schwiegertochter sein, kleine Schöne!«
Sogar wenn sie Hatçe bei ihrer Mutter im Gespräch erwähnt hatte, nannte sie sie »meine Schwiegertochter«.
Als sie in ihr sechzehntes Jahr gegangen war, kam Memed eines Tages müde vom Pflügen. Hatçe hatte in den Bergen Pilze gesammelt. Es war wohl einen Monat her gewesen, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Als sie sich in Alacagedik getroffen und sich zusammen auf einen Stein gesetzt hatten, gab es für sie nichts als Lachen und Glücklichsein. Und als Hatçe hatte aufstehen wollen, hatte Memed ihre Hand festgehalten.
»Bleib noch ein wenig hier.«
Sie hatte gezittert, ein Feuer hatte sie überlaufen. »Wir sind doch Verlobte, oder?«
Memed hatte ihre Hände ergriffen. Sie hatte verlegen gelacht. »Sage, Mädchen«, hatte er hartnäckig gefragt, »du bist doch meine Braut, oder etwa nicht?«
Sie war vor ihm zurückgewichen. Er hatte sie festgehalten, bis ihr heiß geworden war. Nach langem Ringen hatte er ihr einen Kuß gestohlen. Sie, über und über rot geworden, hatte ihn heftig von sich gestoßen und war davongelaufen. Aber bald hatte er sie wieder eingeholt, sie festgehalten, und sie war in seinen Armen so sanft wie ein Lämmchen gewesen.
»Um Mitternacht komme ich«, hatte er gesagt. »Ich verstecke mich im Schatten des Maulbeerbaums. Ich pfeife wie der Vogel Diwlik. Keinem wird es in den Sinn kommen, daß ich es bin.« Dann hatte er ihr den Vogelruf ein paarmal vorgemacht: »So hört sich das an.«
Hatçe hatte lachen müssen. »Das hört wirklich keiner. Genau wie der Vogel.«
»Wir sind doch verlobt, nicht?« hatte er wieder angefangen. »Keiner wird's wissen.«
Aber Hatçe war blaß vor Angst geworden. »Wenn uns jemand sieht!« Und weg war sie gewesen.
Seit damals war ihre Leidenschaft füreinander von Tag zu Tag gewachsen und schließlich die ganz große Liebe geworden, gegen die kein Kraut gewachsen ist. Die Geschichte von Memed und Hatçe war in aller Munde.
Sie fanden Mittel und Wege, jeden Abend zusammenzukommen. Wenn es ihnen einmal nicht gelang, konnte keiner von ihnen schlafen.
Manchmal wurden sie von Hatçes Mutter ertappt. Die versuchte, ihre Tochter mit Gewalt von ihrer Liebe abzubringen, aber es nützte nichts. Selbst wenn sie ihr Hände und Füße zusammenschnürte, wenn sie ein Schloß über das andere an der Tür anbrachte, Hatçe fand immer wieder einen Ausweg. Sie strickte »Liebesstrümpfe«, bestickte Taschentücher für Memed. All ihre Liebe, ihre Sehnsucht, ihre Eifersucht legte sie in die bunten Muster und in die Melodien, die sie darüber sang ...
Als Memed in dieser Nacht endlich heimkam, graute der Morgen schon. Er war nicht gewahr geworden, wann und wie er zurückgekommen war. Auch der strahlende Stern war inzwischen verblaßt.
»Mutter!« rief er vor der Tür. Döne hatte die ganze Zeit schlaflos an ihn gedacht. Da hörte sie seine Stimme. Sofort war sie auf den Beinen.
»Mein Junge!« Sie fiel ihm um den Hals. »Seid ihr die Nacht durch gewandert?«
»Ja.«
Er fiel sofort auf sein Bett. Nur schlafen ... Das letzte, was ihm bewußt wurde, war ein gelber Glanz ... Dieser Glanz sehnsüchtiger Vorfreude und Zukunftshoffnung beherrschte alles in ihm, drang bis in sein Innerstes. Eine goldene Flut warmen

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