Memed mein Falke
stehst ganz allein einem mächtigen Aga gegenüber, dem fünf Dörfer gehören. Sein Neffe will das Mädchen für sich. Das kann kein gutes Ende nehmen. Wenn du klug bist, schlägst du dir die Sache aus dem Kopf Schließlich gibt es noch andere Mädchen.«
»Für mich gibt es keine anderen Mädchen!« schrie Memed wütend. Es geschah selten, daß er sich vor seiner Mutter vergaß. Doch jetzt kannte sein Zorn keine Grenzen. »Für mich gibt es auf der ganzen Welt nur Hatçe!«
Danach sprach er kein einziges Wort mehr.
Zwei Tage später hörte man, daß Abdi Agas in einem anderen Dorf lebender Neffe die Brautwerber um Hatçe geschickt hatte. Abdi Aga war selbst unter ihnen. Schon beim ersten Besuch wurde ihnen das Mädchen zugesprochen. Daß Hatçe weinte, flehte und schrie, kümmerte niemanden. Der Bräutigam war eine gute Partie, nach der man lange suchen konnte. Und wohin käme man, wollte man einem Mädchen die Entscheidung über sein Herz selbst überlassen! Vielleicht, damit es sich einen Zigeuner aussuche, oder einen Trommler! Es half Hatçe nichts, daß sie sich die Augen ausweinte. Zwei Tage später hatte sie den Verlobungsring am Finger. Abdi Agas Geschenk war eine Halskette.
Nach der Verlobung verbreiteten sich allerlei Gerüchte im Dorf. Alle trugen sie sich gegenseitig zu, Frauen, Kinder, Männer, alte und junge.
»Memed will sie entführen. Er läßt sie dem glatzköpfigen Neffen von Abdi Aga nicht.«
»Das traut sich Memed nicht.
Memed kennt keine Furcht.«
»In seinen Augen liegt niemals Angst.«
»Niemals!«
»Er ist ja Memed.«
»Mag sein. Aber er hat ja kein eigenes Stück Brot. Abdi wirft seinen Leichnam stückweise den Hunden vor.«
»Wehe, wenn Abdi gereizt wird! Er ist zu allem imstande.«
»Wo will Memed überhaupt hin?«
»Wohin?«
»Wohin er soll? Er weiß, wohin er gehen soll.«
»Abdi holt ihn auch aus einer Schlangenhöhle wieder heraus.«
»Abdi Aga hat einen langen Arm. Und er hat die Regierung hinter sich.«
»Auch die Regierung. Auch den Landrat. Auch den Amtmann. Auch den Korporal vom Gendarmerieposten.«
»Der Amtmann kommt jeden Tag zu ihm.«
»Bei Allah, ich kann's gar nicht sagen, wie mir der junge leid tut!«
»Kommt einer aus einem fremden Dorf und schnappt sie ihm weg.«
»Ich habe ihn gestern gesehen.«
»Der Arme.«
»Ich habe ihn hinter seinem Haus gesehen. Er ist quittengelb vor Kummer.«
»Seine Augen funkeln, daß einem angst wird.«
»Seit der Verlobung verläßt der Arme sein Haus nicht mehr.«
»In einer dunklen Ecke ... «
»Grübelt bis zum Abend ... «
»Es ist eine leidenschaftliche Liebe, dagegen anzukämpfen ist schwer.«
»So eine leidenschaftliche Liebe bringt den Menschen um den Verstand.«
»Memed spinnt sowieso schon ein bißchen.«
»Die Mutter bindet dem Mädel jeden Abend Hände und Füße zusammen.«
»Schloß über Schloß hängt sie.«
»Auch für Döne ist es nicht leicht.«
»Döne hat selbst Angst vor Memed.«
»Selbst Abdi Aga hat davon Wind bekommen.«
»Ach, armer Memed!«
»Er hat davon gehört und gelacht darüber.«
»Das Mädchen weint, als wären ihre Augen zwei Brunnen.«
»Ach, armer Memed!«
»Abdi Agas glatzköpfiger Neffe läuft herum und prahlt.«
»Der Gehörnte ... «
»Er trägt ein Hirschgeweih.«
»Er ist eine Tragödie!«
»Memed wird vor Gram sterben.«
»Nicht Memed, Hatçe wird es das Herz brechen.«
»Geblendet soll der sein, der sie trennt.«
»Sprich leise!«
»Bei Allah, möge die Krankheit über ihn kommen!«
»Möge ihm ein elendes Leben beschieden sein.«
»Möge er von der Wundrose befallen werden und jahrein, jahraus bettlägerig sein!«
»Sprich leise!«
»Mögen ihm Disteln aus den Augen wachsen.«
»Fünf Dörfer gehören ihm, auch all diese Berge.«
»Geld regiert die Welt. Nicht das Herz.«
»Der arme Memed!
Abdi soll mal abwarten, was Memed noch mit ihm macht.«
»Wenn er ihn umbringt ... «
»Glanz wird um seine Hand sein, wenn er ihn tötet.«
»Er ist ja noch ein Kind.«
»Der arme Memed!«
»Er ist ein Kind, aber ... «
»Und wieviel Bergziegen erlegt er pro Jahr? Zähl sie mal!«
»Er schießt selbst durch ein Nadelöhr!«
»Auch durch Abdis Pupille, wenn Allah will.«
»Sprich leise!«
»Wenn Ahmet der Mächtige noch in den Bergen wäre ... «
»Herabgekommen wie ein Sturmwind wäre er und hätte das Mädchen dem Memed gegeben.«
»Wenn er eine Waffe hätte ... «
»Memed wird sicher mit ihm fertig!«
»Ja, wenn es doch so wäre!«
»Wenn die Bauern das je erleben sollten, so würden sie vierzig Tage und
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