Memed mein Falke
Glücksgefühls, aus der die roten Dächer der Stadt vor dem blauen Horizont auftauchten, der dicke, bläuliche Rauch der Kebabstube, der hämmernde blinde Haci, die glatten, runden, weißglänzenden Pflastersteine ...
Döne hatte sich zu ihm ans Bett gesetzt. »Wie war's denn in der Stadt, mein Junge?«
Der blinde Haci sang, während er sein Eisen hämmerte. Und die roten Dächer ... Memed lächelte im Halbschlaf bei dem Gedanken, daß sie in ein paar Tagen für immer dort sein würden. Es war besser, zu warten, bis Korporal Hasan von seiner Verkaufsreise zurück sein würde. Auf ihn war Verlaß. Und es gab keinen Aga in der Stadt. Sie würden zu dritt arbeiten, und der Ertrag würde ihnen gehören, ihnen allein. Die Çukurova hatte fruchtbaren Boden, auf dem es keine Disteln gab. Eines Tages, wenn er es dort zu etwas gebracht haben würde, dann würde er einmal wieder nach Değirmenoluk kommen und den Leuten von der Çukurova erzählen. Dann würden sie ihm alle, alle folgen, und Abdi Aga bliebe allein in seinem Dorf sitzen. Säen konnte er nicht, ernten auch nicht, und schließlich würde er verhungern ...
»Sag, wie war's in der Stadt?« wiederholte Döne.
Er hatte ihr doch schon geantwortet ... An den Ständen der Obsthändler hatte ein Mann in einer richtigen Hose, mit einem sauberen weißen Filzhut, Apfelsinen gekauft, mit schlanken, weißen Fingern schnell die blanken Münzen hingezählt.
»Schläfst du, mein Junge?«
Ob er schlief? In ihm glänzte der goldene Widerschein der Sonne, die ihre Strahlen millionenfach auf die Çukurova ergießt.
Als er erwachte, ging es schon auf Mittag zu, und seine Mutter saß an seinem Bett. Er schämte sich ein wenig, zog sich die Decke über den Kopf, wie er es als Kind aus Übermut getan hatte.
Döne lachte und zog die Decke wieder herunter. »Nun aber heraus mit dir, du großer Langschläfer! Es ist heller Tag! Schnell, stehe auf und erzähle endlich von der Stadt.«
Er zwinkerte ins grelle Sonnenlicht, mußte die geblendeten Augen abwenden. Dann stand er auf, müde und zerschlagen, aber mit einem großen Glücksgefühl im Herzen, dessen Kraft und Wärme ihn selbst verwunderte. Er setzte sich seiner Mutter auf den Schoß, begann zu erzählen. Döne hatte schon manches Mal von der Stadt berichten hören, aber in solchen Farben wie Memed hatten weder ihr Mann noch andere sie zu schildern vermocht. Als die Sirup-Verkäufer mit ihren blitzenden Messingbehältern an die Reihe kamen, redete er sich in trunkene Begeisterung hinein. Die Worte strömten ihm nur so aus dem Munde ...
Endlich hatte er, fieberhaft in seinen Erlebnissen schwelgend, alles berichtet, was er in der Stadt gesehen hatte. Nun wäre es soweit, seiner Mutter das Wichtigste zu sagen. Aber er schluckte nur und schwieg. Döne wußte genau, was das zu bedeuten hatte. Sie strich ihm übers Haar und schaute ihm in die Augen. Immer dann, wenn er ihr etwas besonders Wichtiges anvertrauen wollte, konnte er im letzten Augenblick nicht mit der Sprache heraus.
Verlegen wich er ihrem Blick aus. Da mußte sie nachhelfen. »Nun sage schon, was du noch auf dein Herzen hast, Junge!« Memed erschrak sehr darüber, daß er durchschaut war. Er wurde bleich, schaute zu Boden, er rang nach Worten. »Ich ... ich bin mit Hatçe einig geworden heute nacht. Ich entführe sie.«
»Kind! Bist du von allen guten Geistern verlassen?!«
»Wir haben gedacht, wenn du im Dorf bleibst, wird dir Abdi Aga nur Quälereien zufügen. Deshalb sollst du mit uns in die Çukurova gehen.«
»Hast du denn ganz den Verstand verloren?« rief sie zornig. »Mein Hab und Gut soll ich verlassen und einfach irgendwohin gehen! Und wie stellst du dir es vor, das Mädchen in die Fremde mitzuschleppen?«
»Aber was soll ich denn sonst tun? Weißt du vielleicht einen anderen Ausweg?«
»Junge, hundertmal hab ich es dir gesagt: Laß die Finger von der Hatçe! Sie ist doch Abdi Agas Neffen versprochen! Vergiß das Mädchen - tausendmal habe ich es dir gesagt. Es kann nun mal nicht sein, darum schlag sie dir endlich aus dem Kopf!«
»Ich kann sie mir nicht aus dein Kopf schlagen, ob mit oder ohne Abdi Aga, oder wer sonst. Seit wann hat Abdi Aga auch über die Herzen zu bestimmen? Ich entführe sie, das ist abgemacht. Das einzige, wovor ich Furcht habe, ist, daß sie dich schikanieren und quälen werden.«
»Ich kann nicht irgendwohin gehen und alles im Stich lassen. Wenn du nicht anders kannst, dann nimm in Gottes Namen die Hatçe. Aber das eine sage ich dir, Sohn, du
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