Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
Vom Netzwerk:
arme Baum, ganz allein ... «, fügte Ali hinzu.
»So ist das nun mal«, meinte Hasan.
»Wenn er nicht vertrocknet ist ... «
»... muß er ganz schön groß geworden sein«, ergänzte der andere. »Wenn ich am Grab vorbeigehe, wird man mich sehen.«
Ali verbesserte ihn. »Nicht irgendwer, sondern Bekir, Körces Sohn, wird dich sehen.«
Hasan stimmte zu: »Bekir wird mich sehen, denn er sitzt ständig am Brunnenrand, starrt auf das Wasser, das vorbeirauscht, und hängt seinen Gedanken nach.«
»Das ist so seine Gewohnheit, nicht wahr?« fragte Ali. »Das ist seine Gewohnheit«, erwiderte Hasan.
»Bekir wird bestimmt zu euch nach Hause laufen, um die Kunde zu überbringen.«
»Mit gebeugtem Rücken ... «
» ... die Hände auf den Knien ... «
» ... wird mir meine Mutter entgegenkommen«, sagte Hasan.
»Auch das Kind?« fragte Ali.
»Komm, wir setzen uns etwas«, schlug Hasan vor. Sie ließen sich nieder.
Hasan war ein kleiner, dünner, sehr hagerer Mann. Seine großen Zähne blitzten zwischen den Lippen. Seltsam und so, als wären sie bestäubt, traten seine Augenbrauen hervor. Er trug eine blaue Pluderhose aus Baumwolle. Sie war nagelneu und roch noch nach Fabrik. Auch seine Mütze war neu und wollte nicht recht auf den Kopf passen. Sein rotgeblümtes Hemd saß jedoch wie angegossen. Er hatte sich Halbschuhe gekauft, wie man sie in Adana trug, aber er traute sich nicht, sie zu tragen. Statt dessen lief er in Bauernschuhen aus ungegerbter Haut. Außerdem trug er bestickte Kniestrümpfe, die er schon aus dein Dorf mitgenommen hatte. »Wir sind hundemüde«, sagte er.
All meinte: »Ja, wir sind müde, aber ... «
»Steh auf«, sagte Hasan. »Diese Rast reicht einem Reisenden doch ... «
»Wie sagen die Ahnen ... ?«
»Ein Reisender gehört auf den Weg.«
»Wir erreichen bald das Dorf, Bruder. Mein Sohn ist jetzt sechs. Er war zwei, als ich das Dorf verließ. Jetzt ... «
»Jetzt ist er sechs.«
»Zusammen mit meiner Mutter wird auch das Kind uns entgegenkommen.«
»Es wird dich Baba rufen. Wir gehen dann zu dir«, sagte Ali. »Danach werden alle Bauern zu uns ins Haus strömen und sich um mich herum versammeln. Sie werden fragen: Sag mal, Hasan Efendi, was hast du in der Çukurova verdient? Ich werde antworten: Nichts, was kann man schon in der Çukurova verdienen. Wir sind gegangen, wie wir gekommen sind.«
»Morgen stehe ich zeitig auf, esse die Tarhana-Suppe, die deine Mutter zubereitet, und mache mich anschließend auf den Weg.«
»Wenn du weg bist, gehe ich mit dem Kind ins Nachbardorf, um ein Paar Ochsen mit halbmondförmigen Hörnern zu kaufen. Dann laufe ich zum steinigen Feld am Ufer und entferne die Steine Stück für Stück ... «
»Dann pflügst du das Feld zwei-, dreimal hintereinander wie in der Çukurova. Bis der Boden wie Mehl ist. Dann säst du.«
»Es wird eine Saat aufgehen, bei der jeder Stengel so groß wird wie eine Tigerpfote ... «
»Die Weste für meine Mutter lasse ich beim Schneider in Göksün anfertigen.«
Hasan trat so dicht an Ali heran, daß er seinen Atem verspürte. »Wie lange ist es schon her, daß du das Dorf verlassen hast?«
»Drei Jahre.«
»Wenn du ankommst, wird es deine erste Aufgabe sein, deine Braut heimzuführen.«
»So lange hat die Arme auf mich gewartet. In diesem Jahr werden es sechs Jahre, seitdem wir uns verlobt haben. Sobald ich ihrem Vater das Geld in die Hand zähle, wird am zweiten Tag ... «
»Das ist gut so«, sagte Hasan.
»Ich werde an einem Tag alles wieder vergessen, was ich in der Çukurova mitgemacht habe.«
Da sie bergan stiegen, hörten sie auf zu reden. Als sie den Gipfel erklommen hatten, lag zu ihren Füßen eine weite Ebene ausgebreitet.
Vom Rande des Weges drang eine Stimme an ihr Ohr, und sie blieben stehen. Plötzlich hörten sie das Klicken eines Abzuges.
»Halt! Stehengeblieben!«
»Wir sind tot!« schrie Hasan auf »Tot sind wir!«
»Tot sind wir!« schrie auch Ali.
»Komm, wir laufen davon!« rief Hasan. »Wenn er schießen kann, soll er schießen! Besser erschossen als ausgeraubt! Wenn wir nicht erschossen werden, können wir unser Haus erreichen.«
»Los!« brüllte Ali.
Sie rannten, was die Beine hergaben. Hinter ihnen ging ein Geschoßhagel nieder. Aufschreiend warfen sie sich zu Boden. Die Stimme von vorhin dröhnte: »Rührt euch nicht vom Fleck! Wir kommen!«
Ali und Hasan lagen reglos da. Die Furcht lähmte sie. Memed, Cabbar und Sergeant Recep, alle drei kamen angerannt und standen nun um sie herum. Memed befahl: »Steht auf!« Sie

Weitere Kostenlose Bücher