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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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richtiger Vater sorgen ... «
Der abgewiesene Freier rächte sich, indem er ihr den von Hüseyin hinterlassenen Acker wegnahm, obwohl er darauf nicht den geringsten Anspruch hatte. Beim Tod ihres Vaters hatten die drei Brüder das Land gleichmäßig unter sich aufgeteilt, und dieses Feld war Hüseyin, Iraz' Mann, zugefallen. Aber was sollte eine junge Frau, die den Weg zur Obrigkeit nicht kannte, dagegen unternehmen?
Nun hatte Iraz keinen Acker mehr. Aber sie ließ sich nicht entmutigen.
»Wird mein Kind nicht dennoch groß, wenn auch seine Onkel Gemeinheiten begehen?« sagte sie jetzt.
»Wird mein Riza nicht weiterwachsen, weil er kein Feld mehr hat?«
Im Sommer arbeitete sie als Tagelöhnerin auf den Feldern, im Winter tat sie Dienst in den Häusern reicher Leute. So brachte sie sich recht und schlecht durch. Ihr Kind gedieh prächtig. Aber auf ihren Lippen war stets die gleiche bittere Frage, das gleiche klagende Wiegenlied: »Soll mein armer Waisenjunge nicht aufwachsen?«
Er wuchs auf. Und er hörte dabei Tag für Tag, von seiner Mutter und von den Leuten im Dorf, warum sie so arm und ohne ein Stück eigenes Land waren. Und die bittere Frage seiner Mutter, in der all ihr Schmerz, ihre Mühsal und ihre Tapferkeit lagen, fraß sich in ihm fest.
Riza ging jetzt in sein einundzwanzigstes Jahr, ein hochgewachsener Bursche, wie ein junger Baum. Keiner in Sakarköy saß zu Pferde wie er, keiner konnte sich beim Schießen oder im Ringkampf mit ihm messen, keiner warf den Wurfspieß vom Sattel aus wie er. Aber in ihm wie in seiner Mutter war eine ständige Unruhe, ein bohrender Schmerz. Sie hatten eigenes Land und mußten doch für Fremde arbeiten, um leben zu können.
Sakarköy hatte viel Ackerland, verglichen mit anderen Dörfern. Der ergiebige Boden erstreckte sich über eine weite Ebene. Mitten darin ragte der Adaca wie ein Wahrzeichen auf, ein gewaltiger Felsblock, der im Grün der Felder kalkweiß schimmerte. Einer der größten Acker am Fuße des Felsens hatte Rizas Vater gehört. Sein fetter, freigiebiger Boden ging Riza nicht aus dem Sinn. Wo er auch ackerte auf fremden Feldern, immer wieder wanderten seine Blicke zum Fuße des Adaca, und sein Grimm fraß sich tiefer.
An jedem Tag, den Allah werden ließ, fing seine Mutter davon an. »Ah, mein Sohn, das Adaca-Feld! Damit konnte dein Vater alles beschaffen, was wir brauchten, um anständig leben zu können. Blind sollen sie werden ... «
Immer wenn Riza sie so sprechen hörte, senkte er den Kopf, versank in Grübeln, glaubte den Geruch von fettem, glänzendem Erdreich zu spüren, die brennende Sehnsucht nach dem Boden im Herzen ...
»Dein Onkel, der Gottlose«, sagte die Mutter, »er wird die Strafe erhalten, die er verdient.«
Dann war plötzlich etwas Seltsames über Riza gekommen. Jeden Morgen stand er in aller Frühe auf, ging hinaus auf die Felder, zum Adaca ... An dem Acker am Fuße des Felsens setzte er sich auf einen Stein, sann vor sich hin. Das Korn wuchs gut. Die Erde wimmelte von Käfern. Im ersten Morgenlicht stiegen die Bodennebel auf. In Riza wurde die Sehnsucht nach dem rauchenden Stück Land unerträglich. Er tauchte die Hand in das warme Erdreich. Goldfarben rieselte es ihm zwischen den Fingern hindurch. »Meine Erde.« Ein Schauer der Verzückung durchrann ihn. »Meine Erde, von fremder Hand gesät und abgeerntet. Zwanzig Jahre lang.«
Wenn er dann müde nach Hause kam, antwortete er nicht auf die Fragen seiner Mutter, wo er seit dem frühen Morgen gewesen sei.
Zwei Monate ging es so fort, bis das Korn kniehoch stand und schon gelbgrün war. Dann sagte Riza eines Tages: »Mutter, das Feld gehört uns.«
»Aber ja, Junge, wem denn sonst?«
»Ich gehe zur Regierung.«
»Auf diesen Tag habe ich schon immer gewartet.«
»Ich habe die Alten gefragt. Das Feld ist vom Großvater auf mich gekommen. Selbst wenn Vater es nicht mit den Onkeln geteilt hätte, stünde es uns zu.«
»So ist es.«
Die Erbschaftssache war vor Gericht schnell entschieden. Das fette, weiche Land am Adaca wurde Riza zugesprochen. Nach all den Jahren der Entbehrung war es wie die Heimführung einer Braut nach langem, unverzagtem Harren und Hoffen. Es war Sommer, als ihm der Acker übergeben wurde. Die Ernte war vorüber, die Stoppeln flirrten im Sonnenlicht.
Riza verschaffte sich als erstes ein Paar Ochsen, um den sommerlichen Boden umzubrechen. Er pflügte fieberhaft, als könne er es nicht erwarten, seine Erde die neue Saat empfangen und in der künftigen Ernte vervielfacht

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