Memed mein Falke
wieder hergeben zu lassen.
Das Umpflügen geschieht immer in zwei Arbeitsgängen. Der erste beginnt zwei Stunden vor Morgengrauen, der zweite am Nachmittag, wenn der Westwind aufkommt. Mit dem ersten muß man aufhören, wenn die Sonne zu heiß für die Tiere wird. Sie bleiben dann einfach stehen. Bis zum Nachmittag wird im Schatten eines Baumes ausgeruht. Wenn die kleinen, leichten Wolkensegel über dem Mittelmeer dahintreiben und die Brise Erleichterung bringt, wird weitergepflügt bis Mitternacht, wenn es das Mondlicht erlaubt.
Die Nacht nach dem Tag, an dem Riza auf seinem Feld zu arbeiten begann, war mondhell. Er pflügte bis Mitternacht und spürte keine Hitze, keine Ermüdung. In mancher der folgenden Nächte hörte er bis zum Morgen nicht auf. Die weiche, umgebrochene Erde sah im Mondlicht noch schöner aus, das Knirschen der Pflugschar war in der nächtlichen Stille noch lauter zu hören ...
Iraz war stolz auf ihren Sohn, der sein rechtmäßiges Erbe wieder in seine Hand gebracht hatte. Sie war außer sich vor Glück, wenn sie im Dorf auf die Frage nach Riza antworten konnte: »Der pflügt sein Feld.«
Es war Vollmond, die Felder glänzten in der Nacht. Unter einem kühlen Wind zogen Rizas Ochsen, mit den Hufen im weichen Boden einsinkend, unermüdlich den Pflug. Trotz des hellen, bleifarbenen Lichtes ringsum wurde Riza von der Müdigkeit übermannt. Er ließ die Ochsen frei, bettete sich an einen Erdhügel und schlief ein.
Am Morgen kam der zwölfjährige Durmuş, ein Kind aus der Verwandtschaft, das ihm immer das Frühstück brachte. Es war schon heiß, und der Knabe suchte Riza unter den Bäumen im Schatten. Riza ging ihm jedes Mal fröhlich entgegen, wenn er ihn kommen sah, packte ihn unter den Achseln und hob ihn in die Luft. Diesmal rührte sich nichts. Das Kind suchte die Bäume ab. Endlich entdeckte es Riza. Er lag mitten auf dem Feld, seltsam zusammengekrümmt. Von den Ochsen war nichts zu sehen. Als der Knabe neben Riza angelangt war, schrie er erschrocken auf, rannte zurück. Der Beutel mit dem Essen fiel ihm aus der Hand.
Völlig außer Atem erreichte er das Dorf, schreiend vor Entsetzen. Vor den Häusern warf er sich auf den Boden. Die Frauen versammelten sich um ihn, zogen ihm die Zunge heraus, flößten ihm kaltes Wasser ein, gossen ihm Wasser über den Kopf Schließlich kam er wieder zu sich.
»Riza Aga hat dagelegen, ganz voll Blut. Auf der Erde war eine Blutlache, aus seinem Mund ist Blut gekommen ... «
Die Frauen ließen die Köpfe sinken. Sie schwiegen.
In Windeseile hatte das ganze Dorf, hatte auch Iraz die furchtbare Nachricht vernommen. Alle hasteten auf das Feld, die sich an den Haaren reißende, laut wehklagende Iraz voran.
Rizas Kopf war von dem Erdhügel herabgerutscht und hing zur Seite.
»Mein Sohn, mein armes Waisenkind!« schrie Iraz auf, als sie sich über den Leichnam warf.
Riza lag zusammengekrümmt da, die Knie bis zur Brust angezogen. Das Erdloch vor ihm war voll von geronnenem Blut, auf dem das Ungeziefer umherkroch. Durch den Dunst sengte die Sonne hernieder. Ein Schwarm grünglitzernder Fliegen bewegte sich auf der Leiche. Das fast erstarrte Blut schien in der vor Hitze flimmernden Luft dennoch zu brodeln. Frauen, Kinder und Männer bildeten einen Kreis um den Toten. Die meisten Frauen weinten.
»Mein schöner, großer Sohn!« schrie Iraz, sich in Krämpfen windend.
»Ach, wer hat dich getötet?«
Zwei Frauen versuchten vergebens, sie von ihrem toten Sohn zu lösen, an den sie sich mit aller Kraft festgeklammert hatte. »Begrabt mich lebendig mit meinem Riza«, stöhnte sie.
Bis in die Nacht hinein ließ sie von dem Toten nicht ab.
Die Nachricht erreichte die Kreisstadt. Die Gendarmen kamen mit dem Staatsanwalt und dem Polizeiarzt. Mit Mühe brachten sie die Frau von dem Leichnam weg und wieder auf ihre Beine, aber sie sank gleich zu Boden, blieb ohne Lebenszeichen reglos liegen. Lange Zeit mußten sie warten, bis sie sie vor den Staatsanwalt führen konnten.
»Wer kann deinen Sohn getötet haben, Frau?« fragte der Beamte. »Hast du irgendeinen Verdacht?«
Sie hob das Gesicht, starrte den Mann mit leeren Augen an. Der Staatsanwalt mußte seine Frage wiederholen.
»Diese Ungläubigen«, flüsterte sie. »Wer soll es sonst getan haben? Der Sohn von seinem Onkel hat ihn getötet. Wegen des Feldes ... «
Nachdem der Staatsanwalt ein Protokoll über den Erbstreit aufgenommen hatte, verließ er mit seinen Begleitern den Acker. Die Dorfleute folgten ihm.
Der fliegenbedeckte
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