Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Titel: Memento - Die Überlebenden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianna Baggott
Vom Netzwerk:
wieder. Pressia hört Töpfe klappern.
    »Ich muss mich entschuldigen«, sagt Ingership mit einem Lachen. »Sie weiß, dass sie nicht so über Politik reden soll, wie sie es getan hat.«
    Pressia hört ein Geräusch im Eingang und hebt den Kopf. Dort steht eine junge Frau in einem Ganzkörperstrumpf ähnlich dem von Ingerships Frau, mit dem Unterschied, dass er nicht so makellos und sauber ist. Sie trägt ein dunkelgraues Kleid und klobige Schuhe, und sie hat einen Eimer und einen Schwamm bei sich. Sie wischt die Wände ab, insbesondere die Stelle, die Ingership als »eklig« bezeichnet hat.
    Ingership nimmt ein halbes Ei und schiebt es sich in den Mund. Pressia folgt augenblicklich seinem Beispiel. Sie lässt das Ei für einen Moment ruhen, fährt mit der Zunge über die glatte Oberfläche, bevor sie zu kauen beginnt. Das weiche Eigelb ist salzig. Es schmeckt himmlisch.
    »Du wirst dich natürlich fragen – und ganz zu Recht«, beginnt Ingership, »wie das möglich ist. Das Haus, die Scheune, das Essen.« Seine Hand wirbelt mit einer alles umfassenden Geste durch die Luft. Seine Finger wirken überraschend klein und elegant.
    Hastig verzehrt Pressia weiter ihre Eier. Sie lächelt gepresst und mit vollen Backen.
    »Nun, ich will dir ein kleines Geheimnis anvertrauen, Pressia Belze. Es ist nämlich folgendermaßen: Meine Frau und ich sind Verbindungsoffiziere zwischen hier und dem Kapitol. Weißt du, was das bedeutet, Verbindungsoffiziere?« Er wartet nicht auf Pressias Antwort. »Wir sind Vermittler. Brückenbauer. Es war eine verlorene Sache hier, bevor die Bomben fielen. Die Rechtschaffene Rote Welle hat sich die größte Mühe gegeben, und ich bin ihr auch zutiefst dankbar für die Rückkehr des Anstands. Doch es musste sich etwas ändern. Die anderen schlugen zuerst zu – auch Judas war Teil von Gottes Plan. Du weißt, was ich meine? Es gab die einen, die froh waren über die Rückkehr von Sitte und Moral, und die anderen, die nicht in der Lage waren, sie anzunehmen. Die Bomben, so müssen wir wohl annehmen, waren in gewisser Weise zum Besten von allen. Es gab jene, die darauf vorbereitet waren, und jene, die keinen Zutritt verdient hatten. Das Kapitol ist gut. Es wacht über uns wie das gnädige Auge Gottes, und jetzt verlangt es etwas von dir und mir, Pressia Belze, und wir werden ihm dienen.« Er sieht sie scharf an. »Ich weiß, was du jetzt denkst. Ich muss wohl einer von jenen gewesen sein, die gemäß Gottes großem Plan keinen Zutritt zum Kapitol verdient hatten. Ich war ein Sünder. Du warst eine Sünderin. Doch das bedeutet nicht, dass wir weiterhin Sünder sein müssen.«
    Pressia weiß nicht, worauf sie sich zuerst konzentrieren soll. Ingership als Mittelsmann, der glaubt, die Bomben wären eine Strafe für ihre Sünden? Es ist genau das, was die Überlebenden glauben sollen, ginge es nach dem Kapitol – dass sie es nicht besser verdient haben. Sie hasst Ingership, jedoch hauptsächlich, weil er Macht hat. Er verbreitet gefährliche Ideen, wirft mit Gott und Sünde um sich und dient den Mächtigen, weil er selbst noch mächtiger werden will. Bradwell würde ihm wahrscheinlich den Hals zudrücken und sein Metallgesicht an der Wand verbeulen, bevor er ihm einen Vortrag über die wirkliche Geschichte halten würde. Pressia jedoch hat diese Möglichkeit nicht. Sie sitzt am Tisch und sieht immer wieder zu dem braunen Umschlag. Ist es das, worauf Ingership hinauswill? Wird er ihr gleich den Umschlag geben? Sie wünschte, er würde endlich zum Punkt kommen. Will das Kapitol etwas von ihr? Was passiert, wenn sie sich weigert? Sie schlingt das letzte Ei herunter. Sie nickt, als würde sie Ingership beipflichten, doch in Wirklichkeit denkt sie an die Eier. Sie hat jedes einzelne genossen, den Geschmack in ihrem Bauch gespeichert.
    Ingership hebt eine Austernschale, kippt sie wie eine winzige Teetasse und schlürft den Inhalt in einem Zug herunter. Dann sieht er Pressia an, als wollte er sie ermutigen – oder ist es ein Test? »Eine wahre Delikatesse«, sagt er.
    Pressia nimmt eine Auster von ihrem Teller. Sie spürt die raue Außenseite der Schale zuerst an den Fingern und dann an der Unterlippe. Sie kippt die Schale hoch, und die Auster gleitet über ihre Zunge in ihren Rachen und dann nach unten. Sie ist so schnell in ihrem Magen verschwunden, dass Pressia nicht einmal sagen kann, wie sie geschmeckt hat. Auf ihrer Zunge ist nur ein Nachgeschmack von salzigem Wasser.
    »Köstlich, nicht wahr?«, fragt

Weitere Kostenlose Bücher