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Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Titel: Memento - Die Überlebenden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianna Baggott
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sie am liebsten losgeheult hätte.
    »Auf die Knie, Tote! Auf die Knie vor Unserer Guten Mutter!«, rufen die Frauen.
    Partridge und Bradwell knien rechts und links von Pressia nieder. Beide sehen ziemlich mitgenommen aus. Dicke Ringe um die Augen, die Kleidung verdreckt und zerrissen. Trotzdem lächelt Bradwell. Seine Augen glänzen. Er ist glücklich, sie zu sehen, und das wärmt Pressia das Herz und lässt ihre Wangen entflammen.
    »Pressia!«, flüstert Partridge. »Sie haben dich gefunden!«
    Also wurde sie nicht entführt, sondern gefunden? Haben die beiden die ganze Zeit nach ihr gesucht? Sie war so sicher, dass sie getrennte Wege gehen würden, dass Partridge weiter nach seiner Mutter suchen und Bradwell den Kontakt zu ihm abbrechen würde. Schließlich hat er überlebt, weil er sich nicht mit anderen Leuten abgegeben hat, die ihn belastet hätten. Was also hat es zu bedeuten, dass er sich auf den Weg gemacht hat, um nach ihr zu suchen?
    Die Gute Mutter klatscht in die Hände, und alle Frauen und Kinder verneigen sich und ziehen sich zurück. Eine einzige bleibt bei der Tür stehen. Eine Wache.
    »Wir dachten, deine beiden Toten hier wären Teil eines Kesseltreibens«, sagt die Gute Mutter zu Pressia. »Wir beteiligen uns nicht an dieser Jagd, doch wenn sie sich, was gelegentlich geschieht, in unser Gebiet verirren, dann töten wir so viele von ihnen, wie wir nur können, bevor sie sich zurückziehen.« Sie schiebt die kleinen Finger in den Griff des Schürhakens.
    »Ich bin froh, dass ihr sie nicht getötet habt«, sagt Pressia. Es gibt ihr Hoffnung, dass auch El Capitán und Helmud irgendwie überlebt haben könnten. Vielleicht.
    »Ich auch«, sagt die Gute Mutter. »Sie sind auf einer Mission.« Die Gute Mutter erhebt sich schwerfällig; die Längsstrebe des Fensterkreuzes in ihrer Brust macht es erforderlich, dass sie sich mit den Armen hochzieht. Sie bewegt sich steif. »Wir haben ihnen bei ihrer Mission geholfen, zum einen, weil du eine Frau bist. Wir stehen unseren Schwestern bei, wenn es in unserer Macht liegt. Doch es steckt mehr dahinter. Es geht darum, die Mutter dieses Reinen zu finden.« Sie wandert in einem kleinen Kreis durch den Raum. »Ein Reiner ist für mich nicht ohne Wert«, sagt die Gute Mutter. »Auch wenn es vielleicht nur ein ideeller Wert ist.« Sie nickt der Wache zu, die zu Partridge geht und ihm die Spitze ihres Besenstiel-Speers an die Kehle drückt. »Es scheint mir, dass dies keine gewöhnliche Mission, und mehr noch, dass dieser Reine kein gewöhnlicher Reiner ist. Wer seid ihr? Was seid ihr für Leute?«
    Partridge sieht mit geweiteten Augen zu Bradwell. Pressia weiß, was er denkt – soll er den Namen seines Vaters nennen? Wird es sein Leben verschonen? Oder ihn erst recht zur Zielscheibe machen?
    Bradwell nickt, doch Partridge scheint ihm nicht zu vertrauen. Pressia fragt sich, was zwischen den beiden vorgefallen ist, seit sie von der OSR entführt wurde. Partridge bewegt den Kopf keinen Millimeter, als er jetzt zu Pressia sieht. Er schluckt, und die Speerspitze bewegt sich an seinem Adamsapfel.
    »Ripkard«, sagt er. »Ripkard Willux. Man nennt mich Partridge.«
    Die Gute Mutter lächelt und nickt. »Sieh mal einer an.« Sie wendet sich Pressia zu. »Erkennst du, wie unaufrichtig er ist? Er hat Informationen zurückgehalten. Er hat Dinge zu sagen, die er uns verschweigt. Alle Toten sind so. Sie können nicht ehrlich sein.«
    »Ich verschweige nichts«, sagt Partridge.
    »Tote haben nicht zu unserer Guten Mutter zu sprechen, es sei denn, sie werden von ihr dazu aufgefordert!«, sagt die Frau mit dem Speer und versetzt ihm einen Stoß in den Rücken.
    Die Gute Mutter wendet sich an Pressia. »Die Bomben«, sagt sie. »Viele von uns waren hier, allein in unseren Häusern oder gefangen in unseren Wagen. Einige gingen nach draußen in die Gärten, um sich den Himmel anzusehen, oder stellten sich – wie ich – an Fenster. Wir hielten unsere Kinder an uns gedrückt. Die Kinder, die wir auf die Schnelle einsammeln konnten. Und es gab die unter uns, die eingesperrt waren. In Gefängnissen oder Anstalten, krank. Wir alle wurden zum Sterben zurückgelassen. Wir waren diejenigen, die die Toten begruben. Die die Sterbenden pflegten. Wir beerdigten unsere Kinder, und als es zu viele wurden, errichteten wir Scheiterhaufen und verbrannten die Leichen. Tote – sie haben uns all das angetan. Früher nannten wir sie Ehemann oder Vater oder Mister oder Herr. Wir sind diejenigen, die

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