Memento - Die Überlebenden (German Edition)
beiden anderen. »Frauen warten auf der anderen Seite der Tür. Sie werden euch begleiten.«
»Da ist noch was«, sagt Bradwell.
»Und das wäre?«, fragt die Gute Mutter.
»Der Chip in Pressias Nacken«, sagt Bradwell. »Er arbeitet.«
»Nein, er arbeitet nicht«, widerspricht Pressia.
»Oh doch, er arbeitet«, sagt Bradwell mit Nachdruck.
»Keiner unserer Chips funktioniert noch. Wer sollte sich überhaupt um uns scheren? Wir stolpern mit nichts als unserem nackten Leben hier draußen durch die Ruinen.«
»Aus welchem Grund auch immer, sie haben dich und Partridge irgendwie zusammengetrieben. Es ist ganz offensichtlich für mich«, sagt Bradwell. Er wendet sich an die Gute Mutter. »Gibt es hier Ärztinnen oder Schwestern? Jemanden, der sich mit Chirurgie auskennt?«
Die Gute Mutter geht um Pressia herum und bleibt hinter ihr stehen. Sie nimmt Pressias Haare und hebt sie hoch, sodass der Nacken entblößt ist. Sie betastet die kleine Narbe in Pressias Nacken, einen alten, kaum noch fühlbaren Knoten. Pressia erschauert. Sie will nicht, dass irgendjemand sich an ihrem Hals zu schaffen macht. »Du brauchst ein Messer, Alkohol, saubere Tücher«, sagt die Gute Mutter nüchtern. »Ich lasse dir alles bringen. Du wirst den Schnitt selbst durchführen, Toter.«
»Nein!«, sagt Pressia zu Bradwell. »Sag ihr, dass du das nicht tust!«
Bradwell sieht auf seine Hände. Er schüttelt den Kopf. »Der Chip ist in ihrem Nacken. Es ist gefährlich.«
»Du bist ein guter Metzger«, sagt die Gute Mutter.
»Ich bin genaugenommen überhaupt kein Metzger.«
»Du wirst keinen Fehler machen.«
»Wie kannst du dir so sicher sein?«, fragt Bradwell.
»Weil ich dich töten werde, wenn du einen machst. Es wäre mir ein Vergnügen.«
Das ist kein Trost für Pressia. Bradwell blickt womöglich noch unbehaglicher drein als zuvor. Er reibt sich die Narben auf der Wange.
»Geht jetzt«, sagt die Gute Mutter.
Die Frau mit dem Besenspeer führt sie zur Tür. Partridge geht ein wenig unsicher, als hätte er weiche Knie, und Pressia geht es nicht viel besser. Die Frau öffnet die Tür, und bevor Pressia nach draußen tritt, blickt sie sich noch einmal zur Guten Mutter um, die einen ihrer Arme mit dem anderen Arm wiegt, den Kopf senkt, liebevoll den linken Bizeps ansieht. Pressias Blick folgt dem der Guten Mutter, und da sieht sie, wie sich das hauchdünne Material der Bluse auswölbt und einzieht – alles, was von ihrem Kind übrig ist, einem Neugeborenen, die rosigen Lippen, der dunkle Mund, eingebettet in ihren Oberarm, nichtsdestotrotz lebendig, atmend.
PRESSIA
Märchen
Sie werden zu einem kleinen Raum mit zwei Paletten auf dem Fußboden gebracht. Die Frau verschließt hinter ihnen die Tür. Partridge gleitet an der Wand zu Boden und setzt sich auf seine Palette. Er hält die verletzte Hand an die Brust gedrückt.
Pressia kann sich nicht setzen. In ihrem Kopf rauscht es. Jemand soll ihr den Chip aus dem Nacken schneiden, der nicht mal Metzger ist? »Ich kann nicht glauben, dass du mir den Chip rausschneiden willst«, sagt sie zu Bradwell. »Das lasse ich nicht zu. Das weißt du, oder? Ich lasse dich nicht mal in die Nähe von meinem Hals.«
»Sie wissen, wo du bist, zu jeder Zeit. Ist es das, was du willst? Aber so wie du das Kapitol liebst, sollte es mich wohl nicht wundern, dass du so gerne ihre Marionette bist.«
»Ich bin nicht ihre Marionette! Du bist paranoid! Verrückt!«
»Verrückt genug, um nach dir zu suchen.«
»Ich habe dich nicht gebeten, mir irgendwelche Gefallen zu tun!«
»Dein Großvater hat es getan, und jetzt habe ich meine Schuld bezahlt.«
Pressia fühlt sich, als hätte ihr jemand einen Schlag in die Magengrube versetzt. Ist das der Grund, warum Bradwell nach ihr gesucht hat? Weil er ihrem Großvater noch etwas schuldig war für das Nähen seines Halses? »Schön, betrachte die Schuld als bezahlt. Ich habe nicht darum gebeten, irgendjemandem zur Last zu fallen.«
»Das habe ich damit nicht sagen wollen«, widerspricht Bradwell.
»Hört auf«, sagt Partridge. »Hört einfach auf, okay?« Er sitzt blass und zitternd in seiner Ecke.
»Es tut mir leid wegen deinem Finger«, sagt Pressia.
»Wir haben alle Opfer gebracht«, sagt Bradwell. »Es wurde Zeit, dass er auch eins bringt.«
»Nett von dir«, sagt Pressia. Sie hasst Bradwell in diesem Moment. Er hat sie nur gesucht, weil er ihrem Großvater etwas schuldig war. Nichts weiter. Warum musste er ihr das so unter die Nase reiben? »Wirklich
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