Memento - Die Überlebenden (German Edition)
meisten Leute würden sich mehr darüber freuen«, sagt El Capitán. Er reibt sich die fettigen Lippen, dann öffnet er eine Zigarrenkiste auf seinem Schreibtisch. »Offen gestanden, ich würde sagen, du hast ein Scheiß-Glück.« Er steckt sich die Zigarre an und bläst eine Rauchwolke gegen die Decke. »Ein richtiges Scheiß-Glück.«
Das Gesicht seines Bruders ist hinter El Capitáns Rücken verborgen, doch Pressia kann seine Stimme trotzdem hören. »Ein richtiges Scheiß-Glück«, flüstert er. »Ein richtiges Scheiß-Glück.«
PARTRIDGE
Schattengeschichte
Sie sind zurück in Bradwells Kühlhaus. Es riecht nach Räucherfleisch. Während Partridge einige von Bradwells Sachen angezogen hat, hat Bradwell eine Mahlzeit aus den Resten eines dieser Hybriden zusammengestückelt. Er sagt Partridge, dass er etwas essen muss. »Wir brauchen Energie.« Partridge hat keinen Appetit. Er fühlt sich wie ein Fremder in Bradwells Sachen. Das Hemd ist zu weit, die Hosen zu kurz. Die Stiefel sind so groß, dass seine Füße keinen Halt darin finden. Partridge hat Bradwell zwar gesagt, dass er keinen Chip hat, aber Bradwell ist sicher, dass er irgendwie verwanzt ist. Er hat ihm gesagt, dass sie nicht nur seine Klamotten verbrennen müssen, sondern auch die Habseligkeiten seiner Mutter. Partridge ist nicht sicher, ob er das kann. Und jetzt, in Bradwells Klamotten, fühlt er sich wie ein Fremder in seiner eigenen Haut. Auf dem Fußboden hat Bradwell alles ausgebreitet, wovon er glaubt, es könnte ihm dabei helfen, mehr Klarheit über den Plan der anderen Seite zu gewinnen. Ausgedruckte E-Mails von seinen Eltern, ein paar japanische Dokumente, handschriftliche Notizen, einen Abschnitt aus dem Manuskript seiner Eltern, und nun, als Ergänzung zu alldem, die Sachen von Partridges Mutter. Es ist merkwürdig, all das auf dem Boden zu sehen, wie Steinchen aus Dutzenden verschiedener Puzzles. Es scheint unmöglich, sie zu einem passenden Ganzen zusammenzufügen.
Doch Bradwell ist wie elektrisiert angesichts der Möglichkeiten. Er hat sein Essen runtergeschlungen und wandert rastlos vor den Hinweisen auf und ab. Auch die Flügel auf seinem Rücken sind in ständiger nervöser Bewegung.
Partridge konzentriert sich auf die Ausschnitte, die seinen Vater betreffen. Ein paar Fotos von ihm am Mikro, manchmal vorgebeugt mit der Hand an der Krawatte, eine falsche Bescheidenheit, die Partridge verachtet. Bei einer ganzen Menge weiterer Nachrichtenbilder ist sein Vater im Hintergrund zu sehen. »Ich kenne ihn nicht mal richtig«, sagt Partridge. »Ich meine, wie war er wirklich?«
»Dein Vater?«, antwortet Bradwell. »Ein Mann kurzer Sätze. Positive Schlagworte und jede Menge Versprechungen. Ein Meister des Vagen, unter anderem.«
Partridge nimmt einen der staubigen Zeitungsausschnitte in die Hand. Er starrt auf das blasse Gesicht seines Vater, seine Augen, die nie direkt in die Kamera blicken. »Er ist ein Lügner. Er weiß mehr, als er zugibt.«
»Jede Wette, dass er über alles Bescheid wusste«, sagt Bradwell.
»Was meinst du mit ›alles‹?«
»Alles. Bis zurück zum Zweiten Weltkrieg.«
»Zweiten Weltkrieg?«
»Meine Eltern haben ihn studiert«, sagt Bradwell. »Otten Bradwell und Sylvia Bernt. Sie wurden in jungen Jahren auserwählt, genau wie dein Vater. Junge Rekruten für Die Besten und Klügsten . Sie wurden überall im Land aus ihren Schulen genommen und zum Lunch im Red Lobster gebracht.«
»Red Lobster?«
»Eine Restaurantkette. Gehörte wahrscheinlich zum Protokoll. Jemand hatte Nachforschungen in dieser Richtung angestellt und herausgefunden, dass es der perfekte Ort war, um junge Rekruten aus bescheidenen Verhältnissen zu verführen. Dein Vater wurde bestimmt auch in ein Red-Lobster-Restaurant eingeladen.«
Partridge kann sich seinen Vater nicht als Jugendlichen vorstellen. Unmöglich. Sein Dad war schon immer alt. Er wurde alt geboren.
»Im Gegensatz zu deinem Vater haben meine Eltern die Einladung ausgeschlagen. Sie witzelten immer, dass der Red Lobster bei ihnen nicht funktioniert hatte. Sie waren immun gegen die Verlockungen.«
Partridge gefällt nicht, dass Bradwells Schilderung seinen Vater schwach aussehen lässt. Er mag es nicht, wie Bradwell den Namen seines Vaters betont. »Woher hast du all dieses Zeug?«, will er wissen.
»Meine Eltern wussten, was kommen würde. Sie hatten einen geheimen Tresorraum mit verstärkten Wänden aus Stahlbeton. Nachdem meine Tante und mein Onkel gestorben waren, bin ich
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