Memento - Die Überlebenden (German Edition)
das Richtige tun, seinen Standpunkt vertreten. Sie versucht nur zu überleben. Daran ist nichts verkehrt. Tatsächlich wünscht sie sich fast, er könnte sie jetzt sehen, allerdings nur ein Foto, ein Mädchen im Wald, mit einem Gewehr. Wenigstens sieht es so aus, als könnte sie auf sich selbst aufpassen.
Nach einer Weile bleibt El Capitán stehen. »Hörst du das?«
Pressia hört etwas, ein leises Rascheln, doch es ist nur der Wind in den Zweigen. Sie blickt nach rechts und bemerkt eine Gestalt, die von einem Baum zum nächsten humpelt und dann außer Sicht verschwindet. Eine Redewendung aus ihrer Kindheit kommt ihr in den Sinn: Komm heraus! Komm heraus, wo auch immer du steckst! Es erfüllt sie mit nervösem Grauen. Bleib, wo du bist, drängt sie in Gedanken die Gestalt. Komm nicht aus deinem Versteck, komm nicht heraus!
El Capitán geht ein paar Schritte in die entgegengesetzte Richtung, dann bleibt er stehen. Er zeigt mit dem Gewehr auf etwas am Boden. »Sieh mal«, sagt er.
Pressia tritt zu ihm und sieht einen sich windenden rötlichen Pelz und glänzende Augen, eine zarte, schweineartige Schnauze mit drahtigen Barthaaren, doch der Körper ähnelt einem Fuchs. Das Tier ist in einer kleinen Falle aus Stahl gefangen.
»Was ist das?«
»Irgendein Hybride, keine Ahnung. Er ist mutiert, hat sich weiterentwickelt. Er durchläuft die Generationen schneller als vorher. Sieh her.« Er schubst mit dem Lauf die Klaue an, und sie glitzert metallisch. »Nur die Stärksten überleben.«
»Die Stärksten«, sagt Helmud auf seinem Rücken.
»Genau wie bei uns, richtig?« El Capitán sieht Pressia an. Er erwartet ihre Zustimmung, und sie beeilt sich, ihm beizupflichten.
»Richtig.«
»Das ist es jedenfalls, was auch mit unserer DNS passieren wird, im Lauf der Zeit«, sagt El Capitán. »Einige von uns werden Nachkommen mit Verschmelzungen hervorbringen, die sie stärker machen, und andere werden aussterben. Das da ist jedenfalls noch essbar.«
»Wie wird es getötet? Erschossen?«, fragt Pressia.
»Schießen ist nicht gut für das Fleisch. Also lässt du es, wenn du es vermeiden kannst.« El Capitán blickt sich um und hebt dann einen Stein vom Boden auf. Er hält ihn für einen Moment über dem Kopf, zielt, dann schlägt er dem Tier den Schädel ein. Es zuckt. Seine Metallklaue schließt sich, dann werden seine Augen stumpf und glasig.
Die Brutalität lässt Übelkeit in Pressia aufsteigen, aber sie zeigt es nicht. El Capitán behält sie aufmerksam im Auge, versucht ihre Widerstandskraft einzuschätzen. So scheint es zumindest.
»Vor ein paar Wochen habe ich eine Ratte gefangen«, berichtet er. »Sie war so groß wie ein Hund und hatte eine Kette als Schwanz. Das ist wirklich krank hier draußen. Alle möglichen Abartigkeiten.«
»Abartigkeiten«, sagt Helmud.
Pressia ist erschüttert. Ihre Hand zittert. Um es zu verbergen, packt sie das Gewehr fester. »Warum sollte ich herkommen?«, fragt sie. »Nur um das Spiel zu spielen?«
»Von jetzt an ist alles ein Spiel«, sagt El Capitán und entriegelt die Falle. »Wenn du verlierst, bist du tot. Gewinnen bedeutet, dass du weiterspielst. Manchmal wünschte ich, ich würde verlieren. Müde. Ich werde müde, das ist alles. Weißt du, was ich meine?«
Sie weiß es, doch sie ist überrascht, dass er es laut ausgesprochen hat, dass er so ehrlich ist und sich so verletzlich zeigt. Sie erinnert sich an die Zeit, als sie sich ins Handgelenk geschnitten hat. Wollte sie wirklich den Puppenkopf abtrennen, oder war sie in Wirklichkeit einfach nur müde? Für einen Moment fragt sie sich, ob er sie auf die Probe stellt. Soll sie ihm sagen, dass sie keine Ahnung hat, wovon er redet, ihm zeigen, dass sie hart ist, Offiziersmaterial? Doch es ist etwas an der Art und Weise, wie er sie ansieht, und sie kann nicht lügen. Sie nickt. »Ich weiß genau, was du meinst.«
El Capitán deutet auf das tote Tier. Er zieht einen Stoffsack aus seiner Jacke und verfrachtet den Kadaver hinein. Der Stoff färbt sich rot, ein heller roter Fleck. »Das ist das erste Mal seit einer Woche, dass ich eins von den Viechern in der Falle habe.«
»Was meinst du damit?«
»Irgendjemand war an meinen Fallen und hat sie leer gemacht, bevor ich die Beute selbst holen konnte.«
»Und wer soll das sein?«
El Capitán macht die Falle mit dem Stiefel wieder scharf. Über die Schulter spricht er mit seinem Bruder. »Wir können ihr doch vertrauen, oder? Können wir dieser Pressia Belze vertrauen?«
»Belze,
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