Memoiren 1902 - 1945
weiter», fragte er scharf.
Stockend fuhr ich fort: «Ich habe mich dafür interessiert und einen hohen zuständigen Beamten aufgesucht. Das war 1944, während ich meinen Verlobten Peter Jacob auf dem Heuberg besuchte. Ich erinnere mich sogar noch an seinen Namen, weil er der Bruder der Kabarettistin Trude Hesterberg war. Er versicherte mir, daß jeder Inhaftierte einen ordentlichen Prozeß bekommen würde und nur, wer einwandfrei schuldig sei, würde bestraft, bei schwerem Landesverrat mit dem Tod.»
«Kennen Sie noch den Namen anderer Lager?»
«Theresienstadt.»
«Was wissen Sie darüber?»
«Ich hörte, daß Juden, die nicht ausgewandert sind, dort interniert wurden.»
«Weiter.»
«Ich habe mich Anfang des Krieges persönlich beim Reichsleiter Bouhler in der Reichskanzlei nach dem Aufenthaltsort und der Behandlung der Juden erkundigt.»
«Und was hat er darauf geantwortet?»
«Daß die Juden dort interniert werden müssen, weil wir uns im Krieg befinden und sie Spionage betreiben könnten, genauso wie Deutsche und Japaner von unseren Feinden interniert werden.»
«Und das haben Sie geglaubt?»
«Ja.»
«Sie hatten keine Freunde, die Juden waren?»
«Doch.»
«Und, was geschah mit denen?»
«Die sind ausgewandert. Bela Balazs ging nach Moskau, meine Ärzte emigrierten nach Amerika, Manfred George zuerst nach Prag, dann nach New York und Stefan Lorant nach London.» Ich konnte nicht weitersprechen, mir war übel, und ich verlor das Gleichgewicht.
Der Amerikaner stützte mich und gab mir einen Stuhl. Dann sagte er: «Dies sind Bilder, die die amerikanischen Truppen bei ihrem Vordringen auf deutsches Gebiet bei der Besetzung und Befreiung der Konzentrationslager aufgenommen haben.» Er frug mich, ob ich das glaube.
«Unfaßbar», sagte ich.
«Sie werden es noch begreifen», sagte der Amerikaner, «wir werden Sie noch öfter mit solchen Fotos und Dokumenten konfrontieren.»
Erschüttert sagte ich: «Fragen Sie mich, was Sie wollen, hypnotisieren Sie mich, ich habe nichts zu verbergen. Ich werde alles sagen, was ich weiß, aber Aufregendes werde ich nicht enthüllen können...»
Man brachte mich zurück in mein Zimmer, die makabren Bilder bedrängten mich so heftig, daß ich mich auf meinem Bett nur noch herumwälzte und keinen Schlaf finden konnte.
Auch in den nächsten Tagen quälte mich der Gedanke, Näheres zu erfahren, wie es zu diesen Grausamkeiten kommen konnte und ob Hitler davon gewußt hatte. Ich versuchte, mit Johanna Wolf ins Gespräch zu kommen. Sie mußte über vieles informiert sein, da sie bis kurz vor Hitlers Tod in seiner Nähe war. Wenn sie doch reden würde. Sie schwieg. Es dauerte Tage, bis sich ihre innere Verkrampfung etwas löste und sie zögernd einige Fragen beantwortete. Man spürte, daß sie noch immer Hitler verfallen war. Stockend erzählte sie, daß sie die Reichskanzlei nicht verlassen wollte, Hitler ihr aber nahelegte, dies wegen ihrer achtzigjährigen Mutter nicht zu tun. Er habe sie mit anderen gezwungen, Berlin mit dem letzten Flugzeug zu verlassen. Auch Julius Schaub, Hitlers ältester Adjutant, der sich ebenfalls weigerte, sich von Hitler zu trennen, mußte mit dieser Maschine ausfliegen. Hitler erreichte es durch einen Befehl, dem Schaub sich nicht widersetzen konnte. Er sollte auf dem Obersalzberg Briefe und Privatdokumente Hitlers vor dem Eintreffen der Feinde vernichten. Fräulein Wolf berichtete, die in Hitlers Nähe weilenden Personen hätten sich seiner Magie bis zu seinem Tod nicht entziehen können, obgleich er körperlich verfallen war. Dann erzählte sie, wie Magda Goebbels ihre fünf Kinder mit in den Tod nahm. Hitler soll vergebens versucht haben, sie davon abzubringen. Sie wollte zusammen mit ihm sterben, wie Eva Braun, die durch nichts zu bewegen war, die Reichskanzlei zu verlassen - ihr einziger Wunsch war, vor ihrem Tod noch Frau Hitler zu werden. Ich fragte Fräulein Wolf:
«Wie erklären Sie sich diese extremen Gegensätze? Einerseits ist Hitler so besorgt um das Schicksal seiner Leute, andererseits ist er unmenschlich und duldet solche Verbrechen, wie wir sie hier kennenlernen, oder befiehlt sie sogar?»
«Er kann», sagte Fräulein Wolf schluchzend, «über diese Verbrechen nicht informiert gewesen sein - er war von Fanatikern umgeben, Leute wie Himmler, Goebbels und Bormann bekamen immer mehr Einfluß auf ihn, sie gaben Befehle heraus, von denen
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