Memoiren 1902 - 1945
niedrig um die Filmkamera kreisen. Es war nicht gerade harmlos, und bei der Landung machten wir beinahe Bruch.
Von St. Moritz zog unsere Karawane zum «Bernina Hospiz». Es war Anfang April, und wir blieben dort sechs Wochen. Das Hospiz liegt in einer Höhe von 2300 Meter auf dem Bernina-Paß, von dem wir ein Jahr zuvor oft den Aufstieg zum Piz Palü gemacht hatten. Rauhes Wetter, fast immer Schneesturm, ist dort an der Tagesordnung.
In der Nähe der Berninabahn wurde der Innenraum eines Montblanc-Observatoriums gebaut - im Hochgebirge ein richtiges Atelier mit Scheinwerfern. Auch dies war eine Pioniertat von Dr. Fanck. Er ließ unter großen Anstrengungen in eine nahezu arktische Landschaft diesen Raum bauen, der vereisen mußte und Schneestürmen ausgesetzt war. Die Kälte war kaum zu ertragen. Kameraleute, Beleuchter, der Regisseur und vor allem Sepp Rist mußten Tag und Nacht stundenlang in diesem Eisloch arbeiten.
Zum Glück hatte ich in dieser eisigen Dekoration nicht viele Szenen. Ich benutzte jeden freien Tag, um mit den Brüdern Lantschner Hochtouren zu machen, ein notwendiges Training für die kommenden alpinen Aufnahmen im Gebiet des Montblanc.
Doch vorher gingen wir noch einige Tage nach Lausanne in den Frühling. Von hier wollte Udet seine Montblanc-Flüge starten. Am ersten Schönwetter-Tag flogen wir los - mein erster langer alpiner Flug. Es wurde das Aufregendste, was ich je erlebt habe. Nachdem der Genfer See hinter uns lag, jagten plötzlich die schroffen Schneefirne des Dent du Midi auf uns zu. Das zweite Flugzeug folgte uns. Darin saß Schneeberger mit seiner Kamera. Fanck hatte ihn verpflichten müssen, da Udet darauf bestanden hatte, daß Schneeberger die Flugaufnahmen von ihm machen sollte. Mir selbst machte es nichts mehr aus, ihm wieder zu begegnen. Meine Gefühle für ihn waren erloschen - seltsamerweise empfand ich bei seinem Anblick weder Trauer noch Haß.
Wir stießen durch dicke Cumuluswolken und sahen unter uns das französische Hochgebirge und, alles überragend, den Gipfel des Montblanc. Wie schlafende Eisbären lagen die schneebedeckten Berge unter uns.
Doch in einem einzigen Augenblick änderte sich die Szenerie. Heftige Fallböen wirbelten uns wie ein Blatt Papier herum - an messerscharfen Graten vorbei. Wir überflogen einige Gletscher und sahen in die blauschwarzen, unermeßlich tiefen Spalten hinein. Ein zerrissener Hochgrat raste direkt auf uns zu. Der vom Gipfel herabstürmende eisige Wind bekam uns zu packen und wirbelte uns immer näher an die Felsen. Ich schrie auf - die Eiswände schienen auf uns zu stürzen. Ich sah den Himmel über mir und eine Sekunde später unter mir - und einen Abgrund, vor dem ich nur noch rasch die Augen schließen konnte. Etwa fünfhundert Meter vor uns versackte das Begleitflugzeug, jetzt waren wir selber ebenfalls in einem Luftloch und fielen wie ein Stein hinunter. Es gelang Udet, den Sturz aufzu fangen, und dann glitt er wie im Segelflug durch die Wolken und landete wie ein großer Vogel auf dem Gletscher. Die erste Landung eines Flugzeugs auf dem Montblanc, und ich hatte dabei sein dürfen.
Nach diesen Aufnahmen kamen wir endlich nach Chamonix. Da lag er vor uns, unser Hauptdarsteller, der klotzige Riese, der Montblanc. Bis ins Tal durch die grünen Wälder hindurch reichten seine weißen Gletschertatzen. Vor unserem Hotel «Gourmet» standen wir Filmleute und tasteten den weißen Block mit Ferngläsern ab. Hoch oben sahen wir die Vallot-Hütte, winzig liegt sie auf einem Grat,
4400 Meter hoch. Dort würden wir später längere Zeit hausen müssen. Doch zunächst suchten wir einen geeigneten Landeplatz für Udet. Abends rief er aus Lausanne an und eröffnete uns, er könne auf dem von Fanck vorgesehenen Platz, bei den «Grand Mulets», nicht landen. Eine andere Stelle wurde ausgewählt. Also verließen wir Chamonix und stiegen auf. Dr. Fanck, den die Grippe gepackt hatte, blieb einstweilen zurück. Unser Ziel war die unbewirtschaftete Dupuishütte. Der Aufstieg war anstrengend. Erst einmal zwei Stunden lang steile Geröllhalden und Felsen, wo wir die Skier tragen mußten, was unbequem und ermüdend war. Noch unterhalb der Schneegrenze fiel ein Rucksack über die Felskante. Jeder unserer Rucksäkke enthielt wertvolles Fotomaterial, deshalb mußten wir versuchen, ihn wiederzukriegen. Dreihundert Meter tief war er gefallen. Eine schwierige Rettungsaktion, aber wir hatten uns umsonst bemüht - die Kamera war
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