Memoiren 1902 - 1945
noch ein letztes Mal zu kommen, willigte ich leider ein, in der Hoffnung, endlich meine Ruhe vor ihm zu haben. In der Tat benahm er sich wie ein verliebter Primaner. Mit glänzenden Augen schilderte er, wie er schon 1926, das war vor sechs Jahren, bei der Premiere meines ersten Films «Der heilige Berg» vor dem UFA-Palast gestanden habe, um mich einmal aus der Nähe sehen zu können.
Bisher hatte ich angenommen, daß er mich nur als Schauspielerin verehrte, jetzt mußte ich feststellen, daß seine Gefühle mir vor allem als Frau galten. Während er mich so anschwärmte, fiel sein Blick auf ein aufgeschlagenes Buch, es war Nietzsches «Zarathustra». Er nahm es, blätterte darin herum und fragte mich, ob ich eine Nietzsche-Anhängerin sei, was ich bejahte.
«Besonders», sagte ich «liebe ich seine Sprache und vor allem seine Lyrik. Kennen Sie Nietzsches Gedichte?» Er nickte und vertiefte sich in das Buch. Dann begann er überraschend wie ein Schauspieler aus dem «Zarathustra» zu deklamieren. Ich war froh, daß er abgelenkt war. Aber er legte das Buch beiseite, kam auf mich zu und schaute mich an, als wollte er mich hypnotisieren: «Gestehen Sie», sagte er, «Sie lieben den Führer.»
«Was ist das für ein Unsinn», rief ich, «Hitler ist ein Phänomen, das ich bewundern, aber nicht lieben kann.»
Da verlor Goebbels seine Beherrschung: «Sie müssen meine Geliebte werden, ich brauche Sie - ohne Sie ist mein Leben eine Qual! Ich liebe Sie schon so lange!» In der Tat kniete er vor mir nieder und fing sogar zu schluchzen an. Heller Wahnsinn. Fassungslos schaute ich auf den knienden Goebbels. Als er dann aber meine Fußgelenke umfaßte, wurde es mir zuviel. Ich wich zurück und forderte ihn auf, meine Wohnung zu verlassen. Er wurde aschfahl, und als er zögerte, rief ich: «Was sind Sie für ein Mensch! Sie haben eine so wunderbare Frau, ein süßes Kind! Ihr Benehmen ist einfach empörend.»
Goebbels: «Ich liebe meine Frau und mein Kind, verstehen Sie nicht? Aber ich liebe auch Sie, und ich würde jedes denkbare Opfer für Sie bringen.»
«Gehen Sie, Doktor», rief ich erregt, «gehen Sie, Sie sind ver
rückt.»
Ich öffnete die Wohnungstür und ließ den Fahrstuhl kommen. Mit gesenktem Kopf ging er, ohne mich noch einmal anzusehen.
Diese Demütigung hat mir der spätere Propagandaminister nie verziehen.
Flucht in die Berge
I ch hatte nur einen Wunsch: Sobald als möglich Berlin zu verlassen. Ich wollte es nicht auf eine Begegnung mit Dr. Goebbels ankommen lassen, und nicht nur mit ihm, sondern auch mit Hitler. Bis zum Weihnachtsfest waren es nur noch wenige Tage. Meine Eltern wollten den Heiligen Abend mit mir verleben, und so beschloß ich, bis dahin noch in Berlin zu bleiben. Auch hatte ich die Artikelserie für Manfred George noch nicht beendet. Im «Tempo» waren schon die ersten Fortsetzungen erschienen. Nach meiner Rückkehr aus Grönland hatte mich George gebeten, ein Buch über meine Erlebnisse während meiner Filmtätigkeit zu schreiben, von dem er die Vorabdrucksrechte für «Tempo» erwarb. Das Buch erschien Anfang 1933 beim Verlag Hesse & Becker in Leipzig. Titel: «Kampf in Schnee und Eis».
Als ich eines Tages vom Einkaufen nach Hause kam, lag ein Blumenstrauß vor meiner Tür. Auf dem beiliegenden Kärtchen stand: «Du-du - ich bin wieder da und wohne im Hotel Eden.» Josef von Sternberg war in Berlin, nach dreijähriger Abwesenheit. Am nächsten Tag sahen wir uns, er hatte sich kaum verändert. Sternberg erzählte, daß Erich Pommer ihn eingeladen hatte, hier wieder einen Film zu machen.
Wir kamen natürlich auch auf Hitler und den Nationalsozialismus zu sprechen, und ich erzählte ihm von meinen Begegnungen. Zu meiner Überraschung sagte er: «Hitler ist ein Phänomen - schade, daß ich Jude bin und er ein Antisemit ist. Wenn er an die Macht kommt, wird man sehen, ob sein Antisemitismus echt oder nur Wahlpropaganda war.» Übrigens war Sternberg nicht der einzige meiner jüdischen Bekannten, der so sprach. Auch Harry Sokal und andere haben sich ähnlich geäußert. Ich weiß, es klingt heute, da wir die entsetzlichen Verbrechen kennen, die während des Hitlerregimes geschehen sind, unglaubhaft, gerade für jüngere Menschen - aber es ist die Wahrheit.
Sternberg wollte mein «Blaues Licht» sehen. Wir fuhren nach Neukölln zur Kopieranstalt Geyer. Dort lagerte mein Filmmaterial. Auf sein Urteil war ich angstvoll gespannt. Ich wußte, er
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