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Memoiren 1945 - 1987

Memoiren 1945 - 1987

Titel: Memoiren 1945 - 1987 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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meine Leica für Bilder in dem aufkommenden Sturm zu holen, kam aber kaum noch bis zu unserem Bungalow. Nur mit Mühe konnte ich das Hauptgebäude erreichen. An Fotografieren war nicht mehr zu denken. Als ich meine Hand aus der Tür hielt, glaubte ich, sie würde abgerissen. Immer wilder wurde der Sturm, immer stärker das Getöse und Krachen. Dee und seine Frau machten ernste Gesichter.
      Da zersplitterten die ersten Fensterscheiben.
      «Nach den Radiomeldungen», sagte Dee, «kommt das Auge von ‹Fifi› — so wurde dieser Hurrikan genannt — direkt auf Roatan zu, in kurzer Zeit wird es über uns sein. Er soll eine Stundengeschwindigkeit von über zweihundert Kilometern haben, keiner darf das Haus mehr verlassen.» Nun bekam ich es mit der Angst zu tun. Ich sah, wie der Sturm das Meer peitschte, die Wellen immer höher gingen und Äste durch die Luft flogen. Das Toben des Sturms nahm von Sekunde zu Sekunde zu, die Tür wurde aus den Angeln gerissen, wir flüchteten in die Ecken des Raums. Balken krachten von der Decke herunter, und jeden Augenblick fürchtete ich, das einstöckige Haus werde über uns zusammenstürzen. Da fing es zu prasseln an, und bald stürzten Regengüsse vom Himmel. Mit allen nur möglichen Gefäßen versuchten wir, das Wasser wegzuschöpfen. Unwillkürlich mußte ich an die Schneestürme denken, die ich bei der «Weißen Hölle vom Piz Palü» auf der Diavolezza erlebt hatte, aber das hier war ungleich schlimmer.
      Zwölf Stunden dauerte es, bis das Toben vorüber war und wir uns ins Freie wagten. Der Wirbelsturm hatte verheerend gewütet. Riesige alte Bäume waren entwurzelt oder ihre Stämme wie Streichhölzer geknickt. Das von den Dächern gerissene Wellblech hatte sich wie Papiermanschetten um die Stämme gewickelt. An dem Gebäude, in dem wir den Hurrikan überstanden, hatte der Sturm das Dach abgerissen und den Oberstock total zerstört. Das Bootshaus von Dee schwamm auf dem Meer, und eine große Yacht, die draußen geankert hatte, lag schwer beschädigt auf einem Hügel. Es war wie nach einem Bombenangriff.
      Es war ein Wunder, daß wir diesen Hurrikan überlebt haben. Wie wir erfuhren, war er der schlimmste, den es im letzten Jahrhundert hier gegeben hat. Dieser war im September 1974. Die Behörden schätzten, daß acht- bis zehntausend Menschen dabei umkamen, hunderttausend wurden obdachlos und eine halbe Million erlitt Sachverluste aller Art. Eisenbahnlinien und Brücken waren zerstört. 60 Stunden ging ununterbrochen schwerer tropischer Regen
hernieder. Ausgetrocknete Flußbette waren zu reißenden Flüssen geworden. Ein Gemisch von Geröll, Baumstümpfen, Erde und Wasser verwüstete die Stadt Coloma, kilometerweit wurde das ganze Land überschwemmt. Flüchtende Menschen wurden durch gewaltige Erdrutsche zermalmt oder ertranken in den tobenden Wassern. Die Regierung von Honduras rief den nationalen Notstand aus.
      Wie viele Menschen auf Roatan ums Leben kamen, weiß ich nicht. Die am schwersten betroffenen Gebiete lagen an der Nordküste Honduras‘. An ein Fortkommen von der Insel war nicht zu denken. Sämtliche Strom- und Telefonleitungen waren abgerissen, Dee hatte ein Notaggregat aufgestellt, so daß man kochen konnte, und einige wenige Lampen brannten. In den ersten Tagen wurden Leichen ans Land geschwemmt. Es war schauerlich, wie in einem Krieg.
      Dee und Happy waren rührend. Mit Hilfe von Janet, dem Tauchlehrer und anderen arbeiteten sie Tag und Nacht, um die größten Schäden zu reparieren und das Leben wieder zu normalisieren. Nachdem sich das Meer wieder beruhigt hatte, ging Dee nach Tagen sogar noch mit Horst und mir tauchen, aber ich konnte es nicht mehr genießen, zu tief saß noch der Schock. Wir warteten nur auf die erste Gelegenheit, von hier wieder fortzukommen, aber erst drei Wochen später konnten wir mit einer kleinen Maschine zum Festland fliegen. Als wir in «San Pedro de Sula» landeten und durch die halb zerstörte Stadt fuhren, war die Luft noch verpestet vom Geruch der Leichen. Während der Fahrt zum Hotel schloß ich die Augen. Überall sah man Kinder und arme Menschen in den noch von Schlamm bedeckten Straßen herumirren.

    New York

    A ls ich in New York im «Westbury Hotel» aufwachte, glaubte ich, dies alles sei nur ein böser Traum gewesen. Auch unsere Angehörigen und Freunde daheim hatten sich große Sorgen gemacht.
      Während ich mit Horst die Fifth Avenue hinaufging, blieben wir vor einer großen Buchhandlung stehen. Im

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