Menetekel
ÄGYPTEN
Die Entscheidung, den Kairoer Flughafen zu meiden, erwies sich als genial, wenn auch nicht von Anfang an. Zunächst war Gracie vor Panik regelrecht gelähmt, wenn sie daran dachte, übernehmen zu müssen, was sonst immer Finch erledigt hatte – was in diesem Fall hieß, Pater Hieronymus unauffällig an einem ägyptischen Passkontrolleur vorbeizuschmuggeln, der entweder extrem pingelig, sexistisch, antiamerikanisch oder alles zugleich sein würde.
Als sie eintrafen, wartete das Flugzeug schon. Darby hatte sein Versprechen gehalten. Sie machten sich auf den Weg in das Büro der Privatpiloten, weil sie so auf das Flugfeld gelangen konnten, ohne durch das Hauptterminal zu müssen, und hielten Pater Hieronymus hübsch außer Sicht. Ihnen war nur zu bewusst, dass der kürzeste Blick auf ihn Chaos auslösen würde. Er war leicht zu erkennen – im Augenblick war sein Gesicht vermutlich das bekannteste des Planeten. Der Angestellte in dem kleinen Büro erwies sich gegen eine Chance von eins zu zehn als Kopte, und als gläubiger obendrein. Ein Blick auf Bruder Amins Soutane,und alles war gelaufen. Binnen Minuten waren ihre Pässe abgestempelt, die Tore geöffnet, und sie stiegen die Stufen zu dem eilends gecharterten Jet hinauf. Der Fahrer sollte noch warten, bis das Flugzeug gestartet war, dann würde er den Abt verständigen, der daraufhin seinerseits verkünden würde, dass sich der Priester nicht länger im Kloster befand. Darauf würde sich die Belagerung hoffentlich auflösen.
Gracie begann sich zu entspannen, als die Räder der Gulfstream 450 von der Startbahn abhoben und der schlanke Vierzehnsitzer nach oben raste, um auf Reisehöhe zu kommen. Aber ihre Erleichterung war nur von kurzer Dauer, denn nun regten sich düstere Gedanken. An Finch, an den Anblick seines leblosen Körpers im Sand.
Trauer überwältigte sie. «Hätten wir ihn bloß nicht zurückgelassen», sagte sie zu Dalton. Er saß ihr gegenüber, rückwärts zur Flugrichtung. «Ich fühle mich schrecklich. Wir sitzen hier, und er …» Sie sprach es nicht aus.
«Wir hatten keine andere Wahl. Außerdem hätte er gewollt, dass wir genau so handeln.»
«Und das, als er gerade an der Story seines Lebens dran war.» Sie zog die Schultern hoch. «Nach allem, was er überstanden hat, nach all den Kriegen und Katastrophen … stirbt er … so.»
Dalton nickte, und einen Moment lang saßen sie stumm da, von dem Verlust wie gelähmt. Dann sagte Dalton: «Wir müssen den Leuten zu Hause das mit Finch sagen.»
Gracie nickte wortlos.
«Und Ogilvy braucht unsere voraussichtliche Ankunftszeit», fügte er hinzu. «Ich rede mal mit dem Piloten.»
Er drückte sich aus dem Sitz hoch, aber Gracie streckte die Hand vor und hielt ihn zurück. «Aber nicht jetzt gleich, okay? Lass uns einfach ein paar Minuten hier sitzen, ja?»
«Klar.» Er sah den Gang hinunter. «Ich guck mal, ob sie frischen Kaffee haben. Für dich auch einen?»
«Danke.» Sie nickte. «Falls es keinen gibt, wären mir ein paar Fingerbreit Scotch auch recht.»
Der falsche Priester, der sich den Namen Bruder Amin gegeben hatte, beobachtete, wie Dalton aufstand. Er nickte dem Kameramann freundlich zu, als er an ihm vorbei nach hinten ging, dann sah er wieder aus dem Fenster.
Nun hatte er auf dieser Mission zum ersten Mal getötet. Es machte ihm nicht viel aus. Der Krieg in seinem Heimatland war ungleich brutaler gewesen. Er hatte unzählige junge Männer aus Ex-Jugoslawien wie ihn in gefühllose Kampfmaschinen verwandelt. Nach Kriegsende waren einige in der Lage gewesen, sich mit diesem Teil ihrer Vergangenheit zu versöhnen und sich wieder in ganz normale, nette Leute zurückzuverwandeln. Anderen gefiel, was sie in sich entdeckt hatten. Und manche, wie Dario Arapovic, entdeckten außerdem, dass die Talente, die sie an Orten wie Vukovar und Srebrenica entwickelt hatten, extrem gefragt waren. Diese Region der Welt war nach wie vor instabil. Die Auseinandersetzungen gingen weiter, und jede Beruhigung war nur eine vorübergehende Pause in dem großen Spiel. Einem Spiel, an dem Leute wie Maddox aktiv teilnahmen und in dem Talente, wie Dario sie besaß, begehrt waren –und reich belohnt wurden. Auch darüber hinaus hatte sich seine Entscheidung durchaus bezahlt gemacht, denn auch, wenn Dario sehr stolz darauf gewesen war, im Verborgenen seinen Teil zur Zukunft seiner Heimat beizutragen, so stellte die Tatsache, dass Maddox ihn für eine Schlüsselrolle in einem viel
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