Menetekel
Begeisterung eines Jungunternehmers, der wild entschlossen war, die Welt zu erobern. In letzter Zeit jedoch war er nicht mehr recht bei der Sache gewesen, und heute traf «körperlich anwesend» es besser. Er war mit den Gedanken ganz woanders. Auf anderen Kontinenten.
Er setzte ein lässiges Grinsen auf, winkte ihnen zum Abschied und ging den breiten Flur zu seinem Büro hinunter. Die Schreibtische vor seiner Tür waren unbesetzt. Seine persönliche Assistentin Mona und ihre drei Kolleginnen standen vor den Wandbildschirmen, auf denen permanent die großen internationalen Nachrichtensender liefen.
Er war einigermaßen erstaunt. Die Grönlandsichtung hatten sie sich doch schon am Morgen angesehen. Als Mona ihn bemerkte, winkte sie ihn heran. «Haben Sie davon schon gehört? Die sechs Monate alten Aufnahmen aus dieser Höhle in Ägypten? Das müssen Sie sich ansehen.»
Mit einem Anflug von Besorgnis trat er näher, und als ihm klar wurde, was dort gezeigt wurde, wich ihm das Blut aus dem Gesicht.
Er schaffte es, sein Unbehagen zu verbergen und ein, zwei Minuten lang so zu tun, als teile er ihre Aufregung. Dann zog er sich in die sichere Burg seines Büros zurück und sah sich die Nachrichten allein an. Er wusste natürlich, wer Pater Hieronymus war – wer kannte ihn nicht. Aber von dem Kloster hatte er noch nie gehört. Auf allen Kanälen waren die Malereien an der Höhlenwand zu sehen, die eindeutig das Zeichen darstellten. Was Anlass zu allerlei äußerst beunruhigenden Schlussfolgerungen gab.
Fieberhaft durchsuchte er die Fernsehkanäle und das Internet nach irgendetwas, was seine Befürchtungen zerstreuen würde. Aber da war nichts. Ganze Heere von Kommentatoren versuchten, aus der Sache schlau zu werden.
«Nun, wenn das, was wir hier sehen, echt ist, wenn diese Aufnahmen tatsächlich zum behaupteten Zeitpunkt gemachtwurden», sagte ein anerkannter Experte, «dann gibt es eindeutig eine Verbindung zwischen dem unerklärlichen Phänomen und einem angesehenen Mann der Kirche, einem Christen. Das Kloster, in dem er sich aufhielt, als er die Ereignisse, deren wir jetzt Zeuge werden, vorhergesehen hat, gehört zu den ältesten der Christenheit …»
Was das Bildmaterial für Folgen nach sich ziehen würde, lag auf der Hand, und sie zeichneten sich bereits ab. Schon beanspruchten Evangelisten und wiedergeborene Christen, Gemeindemitglieder ebenso wie Pfarrer das Zeichen für sich und äußerten alle möglichen Prophezeiungen. Die Anhänger anderer Religionen teilten ihre Begeisterung verständlicherweise nicht, sondern fühlten sich ausgeschlossen und bedroht. Schon war es zu den ersten harschen Reaktionen von Seiten muslimischer Gelehrter gekommen. Es würde gewiss nicht dabei bleiben, andere Glaubensrichtungen würden sich anschließen, davon war Rydell überzeugt.
Das hier gehörte nicht zum Plan.
Er lehnte sich zurück und versuchte wieder Abstand zu gewinnen, um sich unvoreingenommen der Frage zu stellen, was hier vor sich ging. Sie hatten damit gerechnet, dass sich einige Leute das Zeichen auf die Fahnen heften würden. Dass irgendwo auf der Welt irgendwelche Verrückten aus ihren finsteren Rattenlöchern kriechen und irgendwelchen Unsinn verkünden würden. Aber das hier war nicht irgendein Spinner. Sondern Pater Hieronymus.
Der
Pater Hieronymus.
Nein, gar kein Zweifel: Hier war irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung.
Er hatte sie schon wieder unterschätzt.
Bei dem Gedanken überlief es ihn eiskalt, und die Gewissheit schürte seinen Zorn.
Er unterdrückte ihn mühsam, als er zum Telefon griff und auf die Schnellwahltaste für Drucker schlug.
Keenan Drucker hatte es sich in seinem Büro in der Connecticut Avenue bequem gemacht und verfolgte mit lebhaftem Interesse die Nachrichten. Er fand es bewundernswert, wie rasch sich die Medien auf jede neue Information stürzten und sie einmal um den Planeten beamten. Der Nachrichtenhunger des Publikums musste bedient werden, und seit dem ersten Erscheinen des Zeichens war seine Gier kaum noch zu stillen.
Er war sehr zufrieden, wie die Sache sich entwickelte, und sein Blick wanderte von dem Plasmabildschirm zu dem gerahmten Foto auf seinem Schreibtisch. Sein Sohn strahlte ihn durch die dünne Glasscheibe an. Wie immer, wenn er das Bild ansah, überkam ihn Trauer. Genau so wollte er Jackson in Erinnerung behalten: lebendig, dynamisch, gut aussehend, ein prächtiger Offizier in tadelloser Galauniform, dessen Augen vor Stolz und Entschlossenheit
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