Mensch, Martha!: Kriminalroman
Vielleicht hab ich Glück und er tut sich
auf, um mich zu verschlucken.
Radspielers Ton wird wieder
verbindlich. »Wie mir scheint, vereinen Sie mehrere Berufe in
sich. Sie übernehmen auch die Arbeit des Richters, dessen Job die
Urteilsfindung ist. Bisher dachte ich immer, die Polizei würde
lediglich die Wahrheit finden wollen. Suchen Sie nach der, Frau
Morgenstern. Da haben Sie alle Hände voll zu tun!«
»Ich werde sie finden, keine
Sorge.«
»Sie denken, Sie hätten sie
bereits gefunden.«
»Ich leite die Sache an den
Staatsanwalt weiter. Auf eine vorläufige Festnahme verzichte
ich.« Martha hat nur noch den Wunsch, diesem Zirkus ein Ende zu
setzen.
Er lacht, als hätte sie einen
guten Witz erzählt. »Damit tun Sie sich einen großen Gefallen,
glauben Sie mir!«
Martha weiß, dass alles
schiefgegangen ist. Sie hätte es versuchen sollen mit dem
Haftbefehl. Wahrscheinlich wäre er sogar durchgegangen.
Missbrauch von Schutzbefohlenen. Unzucht mit Abhängigen. Es
wäre eine Frage der Argumentation gewesen.
Ich habe alles vergeigt. Er
hat mich bloßgestellt. Er hat mich ausgelacht.
Radspieler steht auf und
bedenkt Martha mit einem letzten Grinsen.
Wenn du noch ein einziges
Wort sagst, spucke ich dir ins Gesicht!
»So. Und jetzt gehe ich
endlich ins Wochenende!« Er wendet sich an Becker und bittet darum
ihm ein Taxi zu rufen.
»Na, klar!« sagt der
beflissen und greift nach dem Telefon, als wäre er der
Privatsekretär von diesem Radspieler.
–4–
Martha steht am offenen Fenster in ihrem Büro und
raucht. Sie fröstelt. Er
hat mich vorgeführt wie ein Schulmädchen.
Martha
weint selten. Jetzt wollen Tränen in ihr hochsteigen. Sie
beobachtet Radspieler, wie er in ein Taxi steigt. Du Schwein! Auch
wenn die erste Runde scheinbar an dich gegangen ist, ich kriege dich! Sie schnippt die Zigarettenkippe auf die Straße und schließt
das Fenster.
Es ist schon nach drei Uhr, als sie sich endlich
auf den Heimweg macht. Auf dem Gang trifft sie Becker. »Mensch,
Martha! Ich versteh überhaupt nicht, warum du dich so
provozieren hast lassen!«
»Halt’s Maul!« Martha freut
sich, weil sie es diesmal nicht nur denkt, sondern auch ausspricht.
Im Auto stellt sie das Radio
an. Eine Anna wünscht sich das Lied »November Rain« und grüßt
damit einen lieben Freund, der Bescheid wüsste. Und falls
nicht, solle er sich an das Gespräch auf dem Parkplatz
erinnern.
Eure Sorgen möchte ich
haben! Sie zündet sich eine Zigarette an und fährt zu ihrer
Wohnung. Es ist Samstagnachmittag und ihre Tochter ist bei ihren
Eltern abgestellt. Eigentlich sollte sie sich beeilen Rebekka
abzuholen und mit ihr auf den Spielplatz oder ins Kino gehen, zum
Eisessen oder sonst wohin.
Nicole Scherbaum geistert in
ihrem Kopf herum. Radspieler auch. Ihr Versagen. Bevor ich Rebekka
abhole, muss ich das abschütteln!
Sie findet keinen Parkplatz und
könnte deshalb aus der Haut fahren. In ihrem Leben hat sie zwei
Autounfälle verursacht. Es waren jeweils nur Blechschäden, aber
beide passierten bei der Parkplatzsuche. Martha gibt auf
und stellt den Wagen im Halteverbot ab.
Im Treppenhaus riecht es nach
frisch gebackenem Kuchen. Samstagnachmittag in der heilen Welt .
Sie hebt ihre Post auf, die in der Diele auf dem Boden liegt:
Kontoauszüge, eine Mahnkarte der städtischen Bücherei und ein
Werbeprospekt für Weihnachtslebkuchen. Auf dem Anrufbeantworter
ist ein einziges Gespräch aufgezeichnet. »Martha, hier spricht
Becker. Wenn du da bist, heb ab! Wir haben einen dringenden Fall
hier!«
»Blöder Idiot!« antwortet
sie der blechernen Tonbandstimme. Sie lässt die Badewanne einlaufen
und badet viel zu heiß. Ihre Haut wird krebsrot. Nach dem Bad cremt
sie sich mit einer teuren Körperlotion mit Rosenduft ein. Ihre
Freundin Briella, die eigentlich Gabriela heißt, schwört auf
die harmonisierende Wirkung der Rose und hat deshalb diese Lotion
Martha zum Geburtstag geschenkt. Gabriela ist Augenoptikerin
geworden, was ihr dann auch den Spitznamen eingebracht hat .
Briella verdient ihr Geld damit, für Fehlsichtige
Brillengestelle zu finden, die sie nicht entstellen. Sie schleift
Gläser, die Menschen zu besserem Sehvermögen verhelfen. Und
ich? Ich fordere eine Fünfzehnjährige dazu auf, möglichst genau zu
beschreiben, wie es war, als der Mann seine Finger in ihre
Scheide steckte.
Bevor Martha zu ihren Eltern
fährt, raucht sie noch zwei Zigaretten am offenen Fenster und
wartet auf die harmonisierende Wirkung der
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