Mensch, Martha!: Kriminalroman
Rebekka aus der
Wohnung.
»Ich hab meinen Turnbeutel
vergessen!« fällt ihr unten an der Haustür ein.
Martha drückt ihr den
Schlüssel in die Hand. »Lauf nach oben und hole ihn. Beeil dich
aber!«
»Das sagst du so leicht. Ich
bin froh, wenn ich mit diesen Schuhen überhaupt noch gehen
kann!«
Es kommt Martha wie eine
Ewigkeit vor, bis Rebekka die drei Stockwerke zurückgelegt hat.
»Maamaa! Der Schlüssel
klemmt! Ich krieg die Tür nicht auf!« schallt es durchs
Treppenhaus.
Martha nimmt zwei Stufen auf
einmal. Rebekka hat versucht, die Wohnung mit dem Hausschlüssel zu
öffnen. Martha hat Mühe, ihn wieder aus dem Schlüsselloch zu
kriegen.
Nachdem Rebekka humpelnd um die
Straßenecke gebogen ist, zieht sich Martha am Automaten eine Packung
Zigaretten. Auf dem Weg zur U-Bahn raucht sie die erste von fünf.
Mehr will sie sich für den heutigen Tag nicht zugestehen.
Sie kommt zu spät zum Dienst und spürt die dicke
Luft, noch ehe sie ihr Dienstzimmer erreicht hat.
Straßenberger steht bei Becker
und Thomas im Büro. Die Tür ist offen. Seiner braunen Gesichtsfarbe
nach war er am Wochenende beim Bergsteigen gewesen. Gut erholt wirkt
er aber nicht.
»Da sind Sie ja endlich!«
begrüßt er Martha.
Sie will sich für die
Verspätung entschuldigen, aber er winkt ab. »Entschuldigen Sie sich
nicht bei mir. Entschuldigen Sie sich beim Steuerzahler!«
Bei einer alleinerziehenden
Mutter wird er Nachsicht zeigen.
»Wir müssen unbedingt über
das hier sprechen!« Straßenberger wedelt mit einem Aktendeckel.
»Zuerst aber kümmert sich wer um den Mann, der in meinem Büro
sitzt.«
Martha versteht gar nichts.
»Wie – was?« Sie blickt von einem zum anderen.
»Herr Körner ist da. Der
Heimleiter von diesem Tannenwald«, erklärt Thomas kurz.
»Martha, ich muss mit Ihnen
reden, gleich anschließend.« Straßenberger nickt Thomas zu.
»Macht das zusammen ... und Martha, tun Sie mir einen Gefallen.
Halten Sie sich zurück, was diesen Kinderarzt angeht!«
»Was ist denn los?« fragt
sie, obwohl sie bereits eine Ahnung hat, was sich da über ihr
zusammengebraut hat.
Straßenberger klopft auf die
Akte. »Wimmelt diesen Körner ab, dann schauen wir uns das hier an!«
Herr Körner ist etwa fünfzig Jahre alt und zählt
zu dem Typ Mann, dem die Ehefrau Kleidung einkauft. Er trägt eine
Krawatte mit Dagobert Duck.
Weiß deine Frau nicht, wie
out und wie albern solche Krawatten sind?
Martha und Thomas stellen sich
vor. Er geht offensichtlich davon aus, man würde bereits
wissen, wer er sei. »Sie sind also die Polizistin, die
vorgestern mit Nicole Scherbaum gesprochen hat«, stellt er ohne
Einleitung fest.
»Ja. Ich hätte Sie heute
Vormittag deswegen aufgesucht«, antwortet Martha.
»Na prima! Schön, dass Sie
sich diese Mühe machen wollten. Wenn auch reichlich spät!«
Thomas mischt sich ein: »Herr
Körner, wir können noch nichts Näheres zu dem Fall sagen ...«
»Aber ich!« unterbricht er
ihn. »Sie brauchen mir nichts Näheres sagen. Alle im Haus
wissen alles. Nicole Scherbaum hat ihren Freundinnen haarklein
berichtet, was sich da in der Arztpraxis zugetragen haben soll!«
Er trommelt mit den Fingern auf den Armlehnen des Stuhles. »Ich
komme heute Morgen in mein Büro und höre von der Dame in der
Verwaltung, was die wiederum von einer Erzieherin erfahren hat.
Kurz und gut – warum hat man mich nicht eingeschaltet? Warum
wurde ich übergangen?«
Es scheint Körner weniger zu
erschüttern, dass einer seiner Schützlinge missbraucht wurde,
als dass er es als Letzter erfährt.
»Sie waren am Samstag nicht
erreichbar«, entgegnet Martha ruhig.
»Man hätte mich unter meiner
Privatnummer benachrichtigen müssen. Die wäre leicht zu erfragen
gewesen!«
»Das wusste ich leider nicht.«
Martha versucht, die Richtung zu ändern. Sie will nicht schon wieder
in den Graben fahren. »Herr Körner, wir verstehen Ihre
Beunruhigung ganz und gar. Schließlich sind Sie für das Mädchen
verantwortlich. Lassen Sie uns deshalb mal kurz über das
Eigentliche, nämlich über Nicole Scherbaum reden.«
Er richtet seine Krawatte auf
seinem Bauch aus und räuspert sich. »Ich glaube ihr natürlich kein
Wort.«
»Wieso sind Sie sich so
sicher?« will Thomas wissen.
»Weil ich Dr. Radspieler gut
kenne.«
»Soweit wir wissen, werden
alle Kinder Ihres Hauses von ihm behandelt. Ihnen ist von
anderen Kindern noch nie etwas derartiges über ihn zugetragen
worden?«
Körner schaut Thomas empört
an. »Dr. Radspieler ist ein
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