Mensch, Martha!: Kriminalroman
Rosenlotion.
Rebekka kniet auf der Eckbank. Sie hat eine große
Schürze umgebunden und belegt ein Blech Zwetschgendatschi.
Marthas Mutter steht am Herd und kocht Zwetschgenmarmelade ein. Samstagnachmittag in der heilen Welt.
Rebekka springt auf und lässt
ihre Arbeit im Stich. »Mama! Ich kann schwimmen!« quietscht sie. So
ganz kann Martha Rebekkas Freude nicht teilen. Ganz offensichtlich
hat sie den Moment verpasst, als Rebekka ihre ersten
Schwimmstöße ohne Schwimmflügel gemacht hat.
»Opa sagt, ich habe das
Schwimmtalent einer Robbe!«
»Na, hoffentlich wächst dir
kein Fell!«
»Soll ich dir was zum Essen
aufwärmen?« fragt Marthas Mutter.
Sie schüttelt den Kopf und
setzt sich zu ihrer Tochter auf die Eckbank.
»Was hast du denn heute Mittag
gegessen?«
»Die zwei Sandwiches, die ich
eingepackt hab.«
»Das ist doch kein
Mittagessen! Ich hab Kalbsschnitzel und Salat.«
»Danke, aber ich hab wirklich
keinen Hunger.«
Rebekka belegt weiter
das Blech. Sie begutachtet die bereits platzierten Früchte mit
schiefgelegtem Kopf. Sie nimmt zwei Zwetschgen weg und richtet
sie neu aus. Martha fühlt sich wie durch den Fleischwolf gedreht.
»Was ist eigentlich mit
Barbara?« fragt ihre Mutter möglichst beiläufig, während sie
heiße Marmelade in Gläser einfüllt.
Martha nimmt sich ein paar von
den vorbereiteten Zwetschgen aus der Schüssel. »Verboten!« sagt
Rebekka streng.
»Ich denke, die Trennung hat
einfach Schmerz verursacht«, sagt Martha und findet, dass sich diese
Nullaussage prima anhört.
Rebekka bückt sich nach einer
Zwetschge, die auf den Boden gefallen ist. Martha nutzt die
Gelegenheit und stibitzt aus der Schüssel.
»Ich habe überall Augen!«
schimpft Rebekka unter dem Tisch.
»Und ich denke, es war ein
Schmerz, der die Trennung verursacht hat!« meint Marthas
Mutter.
Rebekka ist wieder aufgetaucht.
Martha nickt. »Auch möglich.« Sie kaut so diskret wie möglich.
Wie früher in der Schule, wenn sie heimlich während der
Unterrichtsstunde aß. Sie streckt sich auf der Eckbank aus. Sie
ist müde wie ein Stein. »Wo ist Barbara eigentlich?«
fragt sie, um dem Gespräch eine Wendung zu geben.
»Sie baut mit Papa ein Büfett
auf. Der Sportverein feiert hundertjähriges Bestehen. Sie
haben ein Riesenprogramm.«
»Aha.«
»Du solltest auch hingehen.«
Martha ahnt, welche Leier jetzt
kommen wird.
»Du gehst so wenig unter die
Leute. Du wirst richtig sonderbar.«
»Ich hab keine Lust. Ich hab
genug Leute um mich herum.«
»Ja, Halbwelt.«
Martha riskiert eine schwere
Ermahnung, als sie bei den Zwetschgen nochmals zulangt. Sie
bekommt einen Schlag auf die Finger.
»Irgendwie ist das doch kein
Beruf für eine Frau. Schon allein die Arbeitszeit! Am Samstag ruft
man dich an ... Und dann immerzu dieser Abschaum ... Ich möchte
nicht wissen, was heute wieder passiert ist.«
Nein, das möchtest du
wirklich nicht wissen!
Martha will das alles nicht
hören. Weil sie es schon so oft gehört hat. Und weil vieles stimmt.
Auf den ersten Blick zumindest. Wie sucht man sich seinen Beruf?
Marthas Mutter hat eine Ausbildung als Steuerberaterin gemacht. Sie
war glücklich in ihrem Beruf. Dann lernte sie einen Metzgermeister
mit eigenem Geschäft kennen. Martha wusste immer nur, was sie
nicht will. Sie schrieb alle Berufe auf, die für sie nicht in Frage
kamen. Am Ende waren Polizistin und Bestatterin die einzigen, die
nicht auf dem Zettel standen.
»Daniel ist sicher auch auf
der Feier.«
Daniel. Mutters
Schwiegersohn-Hauptkandidat.
»Ich lege mich jetzt ein
bisschen hin«, sagt Martha und denkt an die Zigarette, die sie sich
vorher gönnen will.
»Aber wir könnten Opa und
Barbara wenigstens abholen«, findet Rebekka. »Da gibt es eine
Tombola. Vielleicht ziehen wir den Hauptgewinn. Vielleicht ist
heute unser Glückstag!«
»Daniel war neulich im Laden
und hat nach dir gefragt«, greift Marthas Mutter ihren Faden erneut
auf.
Martha will einfach ihre Ruhe
haben . Kein Kalbsschnitzel mit Salat, keinen Daniel. »Ich
muss jetzt unbedingt eine Stunde schlafen!«
Sie raucht die Zigarette auf dem Balkon, dann legt
sie sich ins Bett. Es ist ihr kalt und obwohl sie sich übernächtigt
fühlt, kann sie nicht schlafen. Sie starrt an die Holzdecke. Als sie
noch klein war, bildete sie sich immer ein, die Astlöcher wären
Geisteraugen, die sie beobachten würden. Oder geheime
Löcher, durch die Gespenster in ihr Kinderzimmer gelangen könnten.
Sie hatte Angst vor diesen Astlöchern, aber nie
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