Mensch, Martha!: Kriminalroman
Schutzbefohlener.
Jetzt habe ich mir selber ein Bein gestellt.
»Gott sei Dank!«
Straßenberger scheint erleichtert.
»Wie bitte?« Martha hat
Froschhände.
»Die Befragung des Mädchens
ist Ihnen ... missglückt.«
»Was soll das heißen?«
Martha erinnert sich an die Mathestunden ihrer Schulzeit. Vor
der Rückgabe der Schulaufgaben wurden die Aufgaben verbessert, und
ihre Hoffnung auf eine passable Note schwand von Minute zu Minute. Am
Ende nahm sie dann sogar eine Fünf minus dankbar entgegen.
»Martha, um es auf den Punkt
zu bringen, Sie waren voreingenommen.«
»Voreingenommen?«
»Jawohl. Sie haben ihr von
Anfang an geglaubt.«
»Ja, ich habe ihr geglaubt.
Das hätten Sie auch getan. Sie schilderte Einzelheiten. Es
kostete sie Überwindung sie zu schildern. Sie war verzweifelt,
verängstigt, zerknirscht.« Gegen ihre schlechten Mathenoten
hatte Martha sich nicht wehren können. Jetzt aber findet sie,
dass es reicht. Dass sie der Gardinenpredigt lange genug zugehört
hat.
»Ja, ja! Aber es gibt ein
einfaches Rezept, das irgendwie immer funktioniert: Glaub erst mal
keinem. – Vielleicht ist diese Nicole Scherbaum eine gute
Schauspielerin«, sagt Straßenberger im Ton eines Oberlehrers.
Martha verdreht die Augen, er merkt es aber nicht. »Ich will jetzt
endlich mal wissen, was genau Sie zu bemängeln haben«, fordert
sie ungeduldig.
Er spielt gedankenverloren an
der Kappe seines Füllers herum. Wie Martha von ihm selber weiß, ist
es ein kostbares Stück. Er hat den Füller von seinem Vater zum
Schulabschluss bekommen. Sie fragt sich, wie manche Leute es
schaffen, Dinge nicht zu verlieren.
»Erstens: Sie haben das
Mädchen nicht darauf aufmerksam gemacht, dass ihre Aussage zur
Verhaftung eines Mannes führen kann. Und dass das im Falle einer
Falschaussage Freiheitsberaubung wäre. Sie ist strafmündig.«
»Und zweitens?«
»Sie erzählt wenig, aber sie
reagiert ganz schön prompt auf ihre Fragen.«
»Sie ist fünfzehn Jahre alt.
Sie wird es nicht gewohnt sein, frei darüber zu sprechen, wie das
abgeht, wenn der Kinderarzt seine Finger in sie reinsteckt!«
Straßenberger winkt ab. »Tun
Sie mir einfach einen Gefallen. Setzen Sie sich dann in Ihr Büro.
Ignorieren Sie das Rauchverbot, das hier im Haus herrscht. Rauchen
Sie eine oder zwei oder drei Zigaretten. Hören Sie sich das
Band nochmals an oder lesen Sie die Aufzeichnungen. Sie werden es
merken. Und dann machen sie einen Vermerk für die
Staatsanwaltschaft.«
»Ich brauche mir das Band
nicht anzuhören. Ich hab die Situation noch sehr gut im Kopf!«
»Das ist es ja eben! Sie haben
etwas im Kopf! Es geht hier aber nicht darum, was wir in unseren
Köpfen haben, sondern was objektiv stattfindet. Martha! Sie
sind doch keine Anfängerin! Was ist bloß los mit Ihnen!?«
»Gibt es ein Drittens auch
noch?« Martha will endlich diese Inquisition hinter sich
bringen. Und dann will ich eine oder zwei oder drei rauchen!
»Den Mann lassen Sie von
Anfang an durchfallen.«
»Er ist ein arroganter Hund!«
Martha spürt sofort, dass sie mit dieser Bemerkung ein Loch in die
Abwehr gerissen hat.
»Zum Kuckuck, geht es hier
darum, ob wir jemanden sympathisch finden? Wollen Sie jemanden
inhaftieren, weil er arrogant ist?«
»Nein!« Sie schlägt mit der
flachen Hand auf den Tisch. »Aber ich werde ihn wegen
Kindesmissbrauchs inhaftieren!«
»Tun Sie das! Wenn Sie
genügend Beweise haben, tun Sie das!«
Martha holt tief Luft. »Keine
Sorge. Ich werde diese Beweise finden, verlassen Sie sich
drauf.«
»Ich wünsche es Ihnen. Sie
haben dem Mann gedroht.«
»Er hat mich provoziert.«
»Sie haben sich provozieren
lassen.«
Martha fühlt sich
zurückversetzt in Schultage, an denen sie nicht nur eine Mathe-,
sondern auch noch eine Physikarbeit zurückbekommen
hat. Fünf minus. Sechs plus.
Sie denkt an Nicole Scherbaum.
An den siegessicheren Radspieler.
»Sie haben sich an Ihrem
freien Tag viel Arbeit gemacht.« Straßenberger will
versöhnlich klingen. Ich pfeif drauf! Er schiebt ihr den
Teller mit den Brezen hin. Ihr ist der Appetit vergangen.
»Essen Sie! Das ist jetzt eine
Dienstanweisung!«
Du kannst mich mal. »Ich
mache gerade eine Diät!«
Ohne Übergang wendet er sich
an Becker und Hiller. »Und nun würde ich gern mal wissen, wer auf
die Schnapsidee gekommen ist, Martha anzurufen und ihr den Fall
aufzuhalsen.«
Becker schaut irritiert. Schau
nicht so dämlich! »Solche Mädchengeschichten
übernimmt Martha. Das war ausgemacht!«
»Aber doch
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