Mensch, Martha!: Kriminalroman
Die Post lässt sie bis auf das dicke Kuvert auf dem
Boden liegen. »Für Frau Martha Morgenstern« steht da in
wunderschöner Schrift. Mit buntem Filzstift sind Blümchen
aufgemalt. Wenn Rebekka ein Päckchen bekommt, versteckt Martha
es, um sie nach dem Abendessen damit zu überraschen.
Rebekka schiebt die Schultasche mit dem Fuß in ihr Zimmer,
Jacke und Mütze wirft sie hinterher.
Den Brief versteckt sie im
Bücherregal. Sie öffnet das Fenster, um nach Martha Ausschau zu
halten.
»Sieh mal da!« Frank Zeller zeigt auf die
gegenüberliegende Straßenseite. »Die kleine Schickse, die
vorhin ins Haus ist, hängt da oben am Fenster. Dritter Stock, rechts
vom Eingang. Das ist doch die Wohnung der Bullenschlampe. –
Vielleicht geht es doch leichter als wir dachten.«
Sein Bruder denkt kurz nach.
»Los komm! Du wartest in meinem Wagen.«
Er betritt das Haus und geht in
den dritten Stock ohne jemandem zu begegnen. Er läutet an der
Wohnungstür.
Rebekka reißt sie auf,
erschrickt, als sie erkennt, dass nicht die Mama, sondern ein fremder
Mann vor ihr steht. Sofort schiebt er sich in die Wohnung und
schließt die Tür hinter sich. Rebekka will protestieren, aber er
schneidet ihr das Wort ab. »Du gibst mir sofort den Umschlag, den
deine Mutter heute bekommen hat.«
Rebekka will schreien. Er
drückt seine Hand auf ihren Mund und schiebt sie so gegen die Wand.
Mit dem Fuß scharrt er die Post auseinander. »Wo ist der
Brief?« Rebekka reißt die Augen auf und zuckt mit den Schultern. Er
gibt ihren Mund frei. »War deine Mutter heute Mittag zu Hause?«
will er wissen. Rebekka zuckt wieder mit den Schultern.
»Verdammte Scheiße!« flucht
er. Er überlegt eine Sekunde, dann packt er Rebekka unter der Brust.
Mit der anderen Hand hält er ihr
wieder den Mund zu. Er öffnet die Tür mit dem Ellbogen. Rebekka
setzt sich zur Wehr und schlägt mit den Fäusten um sich. Er setzt
sie im Treppenhaus kurz ab und packt ihre Arme in die Umklammerung
mit ein. Sie strampelt mit den Füßen, kann aber nichts ausrichten.
Er schafft Rebekka drei Stockwerke nach unten und keiner der
Hausbewohner wird auf ihn aufmerksam. Er schleppt sie aus dem
Haus und wenige Sekunden später sitzt er mit ihr auf der
Rücksitzbank des Wagens. Rebekka wehrt sich mit Händen und Füßen
und versucht, den Türhebel zu erreichen. Sie hat keine Chance gegen
diesen riesigen Mann mit den riesigen Händen.
Sein Bruder ist zwar verwirrt
über die Situation, reagiert aber trotzdem schnell. Er lässt den
Motor an und steuert aus der Parklücke.
Erst drei Straßen weiter sagt
er. »Bist du verrückt geworden? Das wird eine Riesenscheiße!«
–16–
Als Martha nach Hause kommt, hat sie grässliche
Kopfschmerzen. Sie sammelt die Post vom Fußboden auf und wirft
sie achtlos auf das Dielenschränkchen.
Sie sucht ihr schnurloses
Telefon und findet es auf dem Küchentisch. Die Nummer der
Stadlers ist eingespeichert.
»Hallo, hier spricht Stephan
Stadler.«
»Hi, hier Morgenstern. Ist
Rebekka noch bei dir?«
»Nein, sie ist schon
gegangen.«
»Okay. Hast du schön
gefeiert?«
»Ja, klar. Das Piratenschiff
von Rebekka ist cool. Tschüß!«
Da Barbaras Handy wie üblich
ausgeschaltet ist, wird Martha nichts anderes übrig bleiben, als zu
ihren Eltern zu fahren, um Rebekka abzuholen. Sie blickt auf die
Uhr. Es ist kurz nach halb sechs. Mama wird so und so einen
entsprechenden Kommentar abgeben. Da spielt eine halbe Stunde mehr
oder weniger auch keine Rolle mehr.
Sie schluckt zwei
Kopfschmerztabletten mit einen großen Glas Leitungswasser. Sie
hört ein Geräusch, das keines ist. »Rebekka?« Sie wendet sich um.
»Rebekka?«
Morgenstern, langsam wirst
du sonderbar. Einzelne Nackenhärchen stellen sich auf.
Martha fühlt sich schlagartig in die Zeit zurückversetzt,
als sie sich von bösen Augen angestarrt fühlte. Sie spürt Symptome
der Angst in ihrem Körper. Ihr Herz klopft, der Mund ist trocken,
aber ihr ist überhaupt nicht nach einer Zigarette. Vielleicht
schnappe ich jetzt über.
Sie geht langsam ins
Wohnzimmer. Alles ist wie immer. Wie immer? Ein Schauer
rinnt über ihren Rücken. Sie nimmt etwas wahr, aber das deckt sich
nicht mit dem, was ist. Was ist?
Sie zwingt sich dazu tief
durchzuatmen. Ist das der Anfang einer Psychose? Es ist nicht
wie immer. Etwas ist anders: Martha hat Angst in ihren eigenen vier
Wänden. Sie blickt in die Diele. Alle Nackenhärchen richten
sich auf. Auf dem Schränkchen liegt die Post. Daneben der
Zweitschlüssel mit dem
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