Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
Entwicklung, ob man es nun will oder nicht.«
Leif Grundt schaltete seufzend den CD-Player aus. Was ihn betraf, so war seine persönliche Entwicklung nach der zweijährigen Gymnasialzeit auf dem wirtschaftlichen Zweig beendet gewesen. Natürlich interessierte es ihn, wie es seinem ältesten Sohn in Uppsala ergangen war, er bemühte sich, ein guter Vater zu sein, und war selbst in der Universitätsstadt aufgewachsen – in Salabacke, in gehörigem Abstand von den akademischen Lattenzäunen – aber dennoch. Henrik war Ebbas Territorium, ein abgesteckter Claim, der wahrscheinlich bereits im Mutterleib entsprechende Kraft verliehen bekommen hatte, und so war es geblieben. Besonders jetzt, mit dem Jurastudium, wohnhaft im Studentenwohnheim, der Teilnahme am studentischen Leben, Zechgelagen und Herrenessen, Nachmittagspunsch und jerum und wie es noch hieß.
Nun ja, dachte Leif Grundt, vielleicht wird aus ihm wenigstens noch ein Mann.
»Es ist gut gelaufen«, sagte Henrik Grundt.
»Gut?«, wiederholte Mama Ebba. »Jetzt bist du aber so lieb und führst das ein bisschen aus. Ihr habt also alle Semesterprüfungen im Januar? Erstaunlich, dass sie das Herbstpensum über Weihnachten und Neujahr hinausziehen, das war zu meiner Zeit nicht so. Vielleicht ein wenig, aber zwanzig Punkte zu prüfen? Nun ja, du hast ja auf jeden Fall drei Wochen zum Lernen vor dir. Nicht wahr?«
»Kein Problem«, erklärte Henrik. »Wir sind eine Gruppe von vier Leuten, die den ganzen Herbst zusammen gelernt haben. Am zweiten Januar treffen wir uns wieder und werden in zehn Tagen alles durchpauken.«
»Aber du hast doch trotzdem deine Bücher mitgebracht?«, wunderte Ebba sich mit einem Hauch mütterlicher Unruhe und Fürsorge in der Stimme.
»Ein paar«, beruhigte Henrik sie. »Ihr braucht euch deshalb keine Sorgen zu machen.«
Leif Grundt setzte zum Überholen eines schmutziggelben, deutschen Fernlasters an, und da Ebba Hermansson Grundt niemals während eines Überholmanövers sprach, blieb es zehn Sekunden lang still im Wagen. Kristoffer warf einen schnellen Blick auf seinen Bruder, der auf dem Rücksitz neben ihm saß. Deshalb?, dachte er. Bildete er sich das nur ein, oder gab es tatsächlich einen Hintersinn in dem, was Henrik soeben gesagt hatte? Gab es tatsächlich etwas, um das man sich Sorgen machen musste? Etwas anderes?
Er konnte es sich nicht vorstellen. Super-Henrik hatte seinen Eltern noch nie Sorgen bereitet. Ganz gleich, was er sich auch vornahm, es gelang ihm; das galt für die Schule, das galt für Sportwettkämpfe, Klavierspiel, Trivial Pursuit und Fliegenfischen, es galt einfach für alles. Und so war es immer schon gewesen. Einmal, als Henrik elf Jahre alt war und Bezirksmeister in »Wir in der Fünften« wurde, hatte Leif, der Vater, gesagt, dass Henrik sicher nur ein Problem im Leben haben werde, und zwar sich zu entscheiden, ob er Nobelpreisträger oder Premierminister werden sollte. Worauf Ebba, die Mutter, sofort erklärt hatte, dass Henrik ohne Probleme beides erreichen werde – und Kristoffer, zu dem Zeitpunkt erst sechs Jahre alt, war gekränkt in sein Zimmer gegangen, da sich der große Bruder wie üblich jegliches Lob und beide Leckerbissen auf einmal schnappen würde. Premierminister und Nobelpreisträger. Verdammter Scheiß-Henrik, hatte er gedacht, ich werde König werden, und dann wirst du schon sehen. Dann wirst du dein ganzes Leben lang nur rohes Gemüse essen müssen, bis du zum Storch wirst.
Aber jetzt sollte es also – möglicherweise, wenn er diese leichte Dissonanz in der Stimme seines Bruders richtig gedeutet hatte – einen Grund zur Beunruhigung geben?
Ein frommer Wunsch, dachte Kristoffer, der Sünder, und starrte mit finsterem Blick auf den salzbespritzten Fernlaster, der langsam an den Seitenfenstern vorbeiglitt. Nein, so etwas passiert nicht in unserer Familie.
»Und dieses Mädchen?«, fragte Ebba und begann, ihre Fingernägel zu feilen, eine Beschäftigung, zu der sie nur Zeit hatte, wenn sie im Auto saß, ohne selbst am Steuer zu sein, und es deshalb auch nie versäumte, wenn sich ihr die Gelegenheit bot. »Ihr passt doch wohl auf?«
Was bedeutet, dass sie Kondome benutzen sollen, übersetzte Kristoffer lautlos für sich selbst. »Ja«, antwortete Henrik. »Wir passen auf.«
»Jenny?«, fragte Ebba.
»Jenny, ja.«
»Medizinerin aus Karlskoga?«
»Ja.«
»Ist sie auch im Studentenverband?«
»Ja, aber nicht im gleichen. Aber das habe ich doch schon mal erzählt.«
Ein paar
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