Menschen und Maechte
sind. Die Amerikaner kennen nicht die tief in arabischer Tradition und religiöser Mentalität begründete Bereitschaft islamischer Extremisten, sich selbst zu opfern, wie sie am stärksten bei den iranischen Schiiten, aber auch im Libanon ausgeprägt ist, wo sie fast täglich sichtbar die Welt schockiert. Sie sehen nicht, daß allein die Situation im Libanon ein Dutzend Probleme aufwirft, die man nicht isoliert betrachten kann. Die Region von Zypern bis Kurdistan und vom blauen Nil bis zum Khaiber-Paß aber hält mehrere Dutzend schwerer, ungelöster und zum Teil unlösbarer Probleme bereit.
Der Blick der Amerikaner ist – unter grandioser Vernachlässigung der inneren Dynamik der Region und ihrer ethnischen, religiösen und ökonomischen Probleme – auf das bedrohte Existenzrecht des Staates Israel eingeengt, auf die Sorge um ausreichende Ölversorgung der westlichen Welt und auf eine Eindämmung weiteren sowjetischen Vordringens in der Region.
Dies waren während der Carter-Jahre die Hauptsorgen auch der Europäer, einschließlich der Deutschen; sie werden es auch in Zukunft sein. Die europäischen Regierungen haben sich in Kissingers, Carters und Reagans Nahostpolitik kaum eingemischt, schon allein deshalb, weil sie die dafür nötigen militärischen und ökonomischen Mittel nicht besitzen. Wir haben die unstete und zum Teil einäugige Politik Washingtons bisweilen allerdings mit Sorge verfolgt. Wir Europäer haben Hilfe geleistet, wo wir es konnten: Auf Carters Wunsch hat meine Regierung zum Beispiel national und international große Anstrengungen unternommen, die Türkei finanziell zu stabilisieren; Ägypten ist zu einem der größten Empfänger deutscher Entwicklungshilfe geworden. Frankreich hat im Tschad und im Libanon geholfen, ebenso England und Italien. Dabei ist den Europäern immer bewußt gewesen, daß der Westen bestenfalls hier und da explosive Situationen in der Region entschärfen und Kriege abschwächen kann und daß er insgesamt eine für die Welt bedrohliche Entwicklung durch entsprechende Verlagerung seines Einflusses immer wieder verhindern muß.
Wir Europäer wissen auch, daß der sowjetische Einfluß in der Region gegenwärtig nicht mehr ganz zu beseitigen ist; wenn er in Ägypten oder Somalia zurückgedrängt werden konnte, so tauchte er in Äthiopien, im Südjemen, in Libyen, Syrien und Afghanistan wieder auf. Diese Erfahrung zwingt nach europäischer Auffassung den Westen zwar zur Eindämmung, aber auch zu einer gewissen Zurückhaltung. Umgekehrt bleiben die Folgen eines großen Krieges oder einer Explosion in der Region auch für den Kreml unkalkulierbar – und dort ist die Angst vor Terrorismus nicht kleiner als im Weißen Haus.
Die Regierungen der mit den USA verbündeten europäischen Staaten waren also hinsichtlich der Hauptinteressen des Westens weitgehend mit Washington einig. Auf Grund ihrer besseren Kenntnis des Nahen Ostens waren die Europäer gegenüber der oft unsteten, meist von großen Hoffnungen geprägten Politik der Amerikaner allerdings zurückhaltend. Sie wußten, daß sie ihre vitalen Interessen nur gemeinsam mit den Amerikanern verfolgen konnten; diese wiederum hätten wissen müssen, daß sie des
Beistandes der Europäer bedurften. Insoweit unterschieden sich die Voraussetzungen für eine gemeinsame Gesamtstrategie gegenüber dem Nahen und Mittleren Osten keineswegs von denen für eine gemeinsame Gesamtstrategie gegenüber der Sowjetunion.
Carters Außenpolitik bricht zusammen
Spätestens seit der Jahreswende 1979/80 wurde mir deutlich, daß Jimmy Carter von großer Sorge um seine Chancen zur Wiederwahl im November 1980 gequält wurde. Seine auswärtige Politik wurde zunehmend auf kurzfristige innenpolitische Effekte hin orientiert. Dies betraf nicht nur den Iran; es galt noch mehr gegenüber der Sowjetunion. Im Verhältnis zu den Verbündeten der USA, insbesondere gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, ließ er bald Umsicht und Rücksicht vermissen. Sich Schulter an Schulter mit Jimmy Carter zu zeigen, wurde deshalb zu einem innenpolitischen Risiko für manche europäische Regierung – und jedenfalls für mich. Auch ich hatte im Herbst 1980 Bundestagswahlen zu bestehen, und Giscard hatte im Frühjahr 1981 Präsidentschaftswahlen. Carter brachte es fertig, sich nach Ausbruch der Afghanistankrise nacheinander mit uns beiden über Anlässe zu streiten, welche seine Administration aus Unachtsamkeit selbst geschaffen hatte.
Schon vierzehn Tage nach dem
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