Menschenfänger
mussten.
»Frau Hempel – das war wirklich ein entsetzlicher Schock für Sie. Dennoch müssen wir ein bisschen mehr über Frau Merkowski erfahren. Sie haben sie heute früh gefunden?«, begann Albrecht Skorubski sanft das Gespräch mit der verschreckten Frau, die nicht viel älter als das Opfer selbst sein konnte.
»Ich hab mich gleich gewundert, weil die Tür nicht abgeschlossen war. Das hat sie sonst immer gemacht. Und auch Armstrong hat nicht gebellt. Gut, dachte ich, vielleicht ist sie schon zeitig aufgestanden, um noch was für die Party bei ihren Eltern zu besorgen. Wenn sie zu Hause war, hat sie den Kleinen ja immer und überallhin mitgeschleppt.« Sie weinte, und Skorubski reichte ihr ein Taschentuch.
»Danke«, quietschte sie und putzte sich die Nase.
»Wohin sind Sie dann zuerst gegangen?«
»Ich hab meine Jacke aufgehängt und hab im Bad geguckt, ob ich vielleicht Wäsche waschen soll. Da ist mir das schmutzige Waschbecken aufgefallen. Und die Handtücher, die auf dem Boden lagen – aber so richtig was dabei gedacht habe ich mir nicht, obwohl Johanna so was sonst nicht gemacht hat. In der Küche lag kein Zettel – nur die Tüten, die nicht ausgepackt waren, standen auf dem Boden, und dann dieser Fleck auf der Kühlschranktür und den Fliesen. Was hat die denn für ein Zeug getrunken, dachte ich noch, Rotwein? Na und dann bin ich ins Schlafzimmer. Da ist mir der eigenartige Geruch aufgefallen, und ich beschloss, zunächst zu lüften. Erst habe ich sie gar nicht liegen sehen zwischen dem ganzen Bettzeug, aber als ich das Fenster aufmachen wollte, da hat sie mich plötzlich angestarrt. Mann, bin ich erschrocken – das ganze Blut und so habe ich erst danach gesehen. Ich habe dann nichts weiter angefasst und sofort die Polizei angerufen«, heulte sie laut auf, und Skorubski überließ ihr den Rest der Papiertaschentücher.
»Kommen Sie jeden Tag um dieselbe Zeit?«, fragte Nachtigall und setzte sich mit an den Tisch. Das Wohnzimmer war ebenfalls in indischem Stil gehalten, hier dominierte grün in Verbindung mit blau. Die schwarzen Stühle waren mit grünem, samtigem Stoff gepolstert, die Teppiche grün-blau gemustert. Goldene Ornamente sorgten auch hier für das entsprechende Flair.
»Ja – im Prinzip schon. Aber ich komme mit der Bahn, und da kann es schon mal sein, dass ich fünf Minuten später dran bin. Aber sonst immer pünktlich um acht Uhr.«
»Und wenn Frau Merkowski zu einem Fotoshooting unterwegs war, kamen Sie dann auch so früh?«
Anna Hempel nickte so wild, dass ihr langer, brauner Pferdeschwanz aufgeregt hin und her wippte.
»Immer. Ich wusste ja nie, ob sie nicht vielleicht den Hund überraschend hier lassen musste. Sie konnte sich auf mich verlassen.« Wieder ergoss sich eine Tränensintflut über ihre vollen Wangen.
»Wie war sie denn als Arbeitgeberin?«
»Nett. Gar nicht zickig, wie man immer so denkt bei den Models. Freundlich. Es gab ein paar Dinge, die sie nicht ausstehen konnte, und wenn man das respektierte, konnte man prima mit ihr auskommen.«
»Was für Dinge?«
»Schokolade naschen bei der Arbeit, zum Beispiel – sie durfte keine essen, sie bekam davon Pickel. Den Hund verwöhnen. Es war ihr Hund, und sie wollte nicht, dass er sich zu sehr an jemand anderen anschloss. Deshalb durfte ich ihn auch nie mit zu mir nach Hause nehmen, wenn sie unterwegs war. Er blieb in der Wohnung und ich kam, um ihn zu versorgen und mit ihm spazieren zu gehen.«
»Dafür hat sie gut bezahlt, oder?«
»Ja.« Über dieses Thema wollte sie offensichtlich nicht ausführlicher sprechen.
»Wissen Sie, wo ihre Eltern wohnen?«
»Selbstverständlich. Ich habe auch ihre Telefonnummer – für den Notfall. Es hätte ja passieren können, dass Armstrong plötzlich krank wird oder die Wohnung ausbrennt.«
Anna Hempel kramte in ihrer riesigen Handtasche und förderte ein kleines Adressbuch zutage. Aus einer Seitentasche entnahm sie Papier und Kugelschreiber, um Adresse und Telefonnummer der Familie Merkowski für Nachtigall zu notieren.
»Schreiben Sie bitte auch Ihre Anschrift auf. Fürs Erste können Sie dann nach Hause gehen – aber ich möchte Sie bitten, noch Stillschweigen über all das zu bewahren, was Sie heute hier gesehen haben. Wenn es in den Nachrichten kommt, können Sie es auch Ihren Freundinnen erzählen. Aber die Einzelheiten behalten Sie weiter für sich, bis wir den Täter haben.«
Anna Hempel nickte verständnisvoll. Die Polizei wollte die Familie lieber selbst
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