Menschenfänger
Oktober
Ich habe einen Fehler gemacht!
Dabei habe ich mich immer für normal intelligent gehalten – eine perfekte Selbsttäuschung!
Wieso habe ich mich eigentlich nie gefragt, warum der Richter so sicher war, den Richtigen ins Gefängnis gebracht zu haben, der Strafverteidiger ein Wiederaufnahmeverfahren für aussichtslos hielt?
Klaus hatte mir erzählt, sein Prozess sei ein Indizienprozess gewesen, logischerweise, denn er war es ja nicht, es gab keinen Beweis für seine Schuld. Das war gelogen!
Im Abendprogramm zeigten sie gerade eine Sendereihe über spektakuläre Mordfälle: Der Fall Klaus Windisch.
Es gab sogar Zeugen, die ihn am Tatort gesehen hatten, blutüberströmt, sagten sie aus, sei er aus der Wohnung gerannt. Seine Fingerabdrücke auf der Tatwaffe, kein Hinweis darauf, jemand habe das Messer nach ihm angefasst – es gab keine verwischten Fingerspuren. Kam der Mörder nach ihm, war das nicht zu erklären. Hat er deshalb nie so konkret darüber gesprochen?
Auch andere Dinge hat er mir vorgelogen! Er habe sehr früh geheiratet, um ein eigenständiges Leben führen zu können. Schon mit 21. Doch seine Frau habe ihn betrogen! Er sprach über das Gefühl, entwurzelt worden zu sein, als er hinter die Affäre seiner Frau kam, von der tiefen Einsamkeit, in die er gestoßen wurde – und ich erzählte ihm von Gerd, von seinem Betrug, dass er mit der anderen ein gemeinsames Baby bekommen hatte und ich nie Kinder haben werde. Klaus war so unglaublich verständnisvoll gewesen!
Am Abend hatte ich in meiner Jacke einen echten Liebesbrief von ihm gefunden.
Und ich dumme Kuh glaubte fest, den einzigen Menschen gefunden zu haben, der mich je verstehen und lieben würde!
Dabei war die ganze Geschichte erfunden!
Er war nie verheiratet und daher auch nie wegen einer Affäre seiner Frau geschieden worden. Das alles hätte ich ganz einfach erfahren können, ohne großen Aufwand! Aber ich habe nie etwas von dem, was er mir erzählte, hinterfragt. Wenn man unbedingt blind sein will, gibt es für alle Widersprüche und Unklarheiten eine liebende Erklärung!
Tagebuch Evelyn Knabe, 8. Oktober
Schreckliche Gewissheit!
Es ist wahr – Ich liebe einen Mörder!
Ich habe meinen Ferientag benutzt, um in die Bibliothek zu gehen und dort im Internet nach Klaus Windisch zu recherchieren. Natürlich hätte ich das viel eher tun sollen, statt bedenkenlos zu vertrauen. Es kann keinen vernünftigen Zweifel an seiner Schuld geben!
Klaus wiegelte immer ab, wenn ich ihn auf sein damaliges Geständnis ansprach. Sagte, er habe nur alles zugegeben, weil sich eh schon alle darüber einig waren, dass er der Täter sei, und da habe er gedacht, er könne auf diese Weise das Strafmaß begrenzen.
Aber so war es nicht.
Im Internet habe ich Auszüge aus dem Text gefunden. Das ist viel mehr als ein Geständnis, um endlich Ruhe zu haben und ein paar Jahre weniger absitzen zu müssen. Es ist die minuziöse Schilderung zweier bestialischer Morde, und die kaum verhohlene Begeisterung des Täters ist auch heute noch gut herauszuhören. Ein Satz hat sich mir dabei besonders eingeprägt: Weil ich weiß, wie es geht!
Er hat die Frauen getötet, weil er es tun konnte! Das war alles. Hätte er etwas anderes gut gekonnt, hätte er das getan.
Und dennoch – lausche ich in mich hinein, spüre ich nur Liebe für ihn. Wenn es liebenswerte Mörder gibt, ist er einer von ihnen! So viel Wärme, so viel Verständnis hat er für andere.
Für seine Flucht ist ohnehin alles vorbereitet.
Würde ich seine und meine Pläne an die Anstaltsleitung melden, käme es mir wie Verrat an ihm und unserer Liebe vor. Denn ich bin sicher, dass er mich auch liebt. Bestimmt haben die Jahre im Gefängnis zu seiner Läuterung beigetragen, und ich bin sicher, dass Klaus heute keine Gefahr mehr für die Gesellschaft darstellt. Jedenfalls nicht der Klaus, den ich kenne!
Wenn doch, so ist es allein meine Schuld, dass er wieder auf freiem Fuß ist. Und, was fast ebenso schwer wiegt – ich habe den Glauben an seine Unschuld verloren. Deshalb kann ich ihn auch nicht auf seinem weiteren Weg begleiten. Ich durchschaue seine Masche, mich zum Reden über meine Probleme, meine Gefühle und meine Verletzungen zu bringen, um mir gegenüber noch glaubwürdiger agieren zu können. Liebe habe ich mir in meiner albernen Sehnsucht danach nur eingebildet. Nun zahle ich den Preis dafür.
Verraten werde ich ihn nicht!
Ich habe mich entschlossen, das in die Tat umzusetzen, wonach
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