Menschenfänger
Ritualen.«
»Da hat sie vielleicht auch eine Tinktur gegen Mörder?« Nachtigall war wirklich schlecht gelaunt.
»Wir haben zur Sicherheit einen Wagen dort stehen. Das Haus wird beobachtet.«
Es klopfte und Dr. Pankratz’ spiegelnde Glatze erschien in der Tür.
»Ich habe den Bericht meines Studienkollegen bekommen. Er hat die Maden auf der Leiche der Evelyn Knabe sofort untersucht und das Ergebnis gefaxt. Möchten Sie sich das mal ansehen?«
»Unbedingt. Das ist doch eine spannende Angelegenheit«, antwortete Michael Wiener enthusiastisch, während Nachtigall versuchte, die Erinnerungen an die gefressenen Lippen und die abgenagte Nase, die leeren Augenhöhlen mit den sich windenden Maden zu verscheuchen. Er schüttelte sich.
»Setzen Sie sich zu uns. Möchten Sie vielleicht einen Kaffee?«, fragte er und wies auf die neue Kaffeemaschine auf dem Fensterbrett.
Dr. Pankratz lehnte das Angebot ab.
Der Rechtsmediziner packte einen dicken Hefter aus.
»Der Todeszeitpunkt wurde durch die Ergebnisse von Dr. Krokor bestätigt. Er hat einige der Maden analysieren lassen und dabei das gleiche Barbiturat festgestellt, das wir auch im Körper der Toten nachweisen konnten. Damit ist klar, die Tierchen haben an der Toten gefressen.«
»Hatten Sie daran irgendeinen Zweifel?«, fragte Nachtigall erstaunt.
»Nein – natürlich nicht. Eigentlich ist diese Analyse eher für den umgekehrten Fall nützlich. Sie finden eine Tote und daneben ein Glas mit einem Rest eines Giftes. Können wir das dann in den Maden im Umfeld der möglicherweise vollständig verwesten Leiche nicht nachweisen, kann es sein, dass man das Gift nur neben der Leiche platziert hat, um uns glauben zu lassen, das sei die Todesursache. Eine hilfreiche Analyse. Wahrscheinlich führt er sie grundsätzlich durch, um sicherzustellen, dass Maden und Leiche zusammengehören.«
Er zog einen Stapel Fotos aus dem Hefter und verteilte sie auf Nachtigalls Schreibtisch.
»Hier – das sind die Fliegen, von denen die Larven und Puppen stammen, die wir bei Evelyn Knabe gefunden haben. Lucilia und Calliphora. Schmeißfliegen. Man nennt sie so, weil sie ihre Eier an feuchten Plätzen als Häufchen ablegen. Es handelt sich dabei um eng nebeneinander liegende stäbchenförmige, beige Eier.«
»Oh – das habe ich schon mal an Casanovas Katzenfutter gesehen.«
»Ja. Da legen sie ihre Eier auch gerne ab. Schmeißfliegen, weil dieser Eierhaufen Geschmeiß genannt wird.«
»Ach – und ich dachte immer, sie heißen so, weil sie solch eine Vorliebe für die geruchsintensiven Hinterlassenschaften anderer haben. Heißt nicht in der Jägersprache ›schmeißen‹ Kot auswerfen?« Albrecht Skorubski sah fragend in die Runde und ernte nur allgemeines Schulterzucken.
»Wenn dir das wichtig ist, frage ich Marnie danach«, versprach Michael Wiener.
»Das ist ja auch für die Bestimmung der Art nicht von Belang«, wandte Dr. Pankratz ein. »Dr. Krokor musste, um sie identifizieren zu können, die Mundhaken herauspräparieren. Daran lassen sie sich unterscheiden.«
Er fischte ein Foto von einem schwarzen Gebilde heraus, das außerirdisch anmutete.
»Das sind die Mundhaken. Damit wird gefressen. Es dauert in Abhängigkeit von Temperatur und Feuchtigkeit unterschiedlich lang, bis sich die Fliegen entwickeln. Dr. Krokor geht in unserem Fall von einem fünf- bis siebentägigen Zyklus aus. Es fanden sich alle Entwicklungsstadien: frisch geschlüpfte Maden, vollgefressene, Maden mit entleertem Darm, verpuppte – und verlassene Tönnchenpuppen.« Mit seinem außerordentlich langen, knochigen Zeigefinger zeigte er auf ein anderes Bild, auf dem längliche, bernsteinfarbene Tönnchen zu sehen waren.
»Sie werden immer dunkler und dann schlüpft die fertige Fliege. Dr. Krokor bezeichnet in seinen Vorträgen diesen Vorgang der Metamorphose als eindrucksvollstes Wunder der Natur und es sei überaus schade, dass die Menschen dies nicht mit der ihm zustehenden Bewunderung wahrnehmen. Und nur, weil sie sich vor Maden ekeln.«
»Wunder?«, fragte Michael Wiener, der begierig alle Informationen aufsaugte, um damit seine Freundin zu beeindrucken, die Biologie in Berlin studierte.
»Wunder deshalb, weil sich die Made bei diesem Vorgang vollständig auflöst und ganz neu konfiguriert, um aus – sagen wir mal ganz lapidar – Proteinbrei ein völlig neues Tier zu erschaffen, dessen Aussehen und Fähigkeiten nicht das Geringste mit dem Ursprungstier gemein haben.«
»Ja – so gesehen hat er
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