Menschenfänger
missbilligend. Man konnte seinem Gesicht deutlich ansehen, dass er der Meinung war, so Sport zu treiben sei sinnlos, und am liebsten dazwischen gegangen wäre. Aber er beherrschte sich.
Warum hatte Windisch die Frauen nicht vergewaltigt?, schweiften Nachtigalls Gedanken ab, Was hatte Hansen mit seinen Andeutungen gemeint?
Er wechselte das Bein.
Vielleicht sollte einer von ihnen zu Evelyn Knabes Beisetzung gehen, überlegte er dann, es wäre doch möglich, dass Klaus Windisch auch käme. Aber wie sollte der Entflohene davon erfahren? Ob er sich regelmäßig eine Zeitung kaufte? Vielleicht ist es eine gute Idee, den Hinweis in eine Radiomeldung einzuflechten. Möglichst so, dass niemand stutzig wurde.
Wieder das andere Bein.
»Morgen findet die Beisetzung der Vollzugsbeamtin statt, die vor wenigen Wochen ihr Leben durch einen Suizid beendete. Gegen zehn Uhr wird die Trauerfeier am Nordfriedhof …« Konnte man das machen? Und – musste das jemand genehmigen? Frau Beyer bestimmt, dachte er weiter über dieses Problem nach, vielleicht auch Dr. März. Sie würden Beamte in Zivil unter die Trauergäste mischen, einen als Reporter verkleideten Fotografen, einen als Sargträger tarnen. Würde Windisch dorthin kommen, wenn so viele Vollzugsbeamte da waren und die Gefahr für ihn groß war, enttarnt zu werden? Das, war Nachtigall bewusst, hing davon ab, wie tief seine Gefühle zu Frau Knabe waren. War alles nur vorgetäuscht, würde er mit Sicherheit nicht auftauchen.
Auf dem Laufband holte ihn die Erinnerung an Tante Ernas kritischen Zustand wieder ein. Er konnte nicht begreifen, dass sie ihnen all die Jahre ihre Erkrankung verschwiegen hatte. Was für ein seltsames Medikament hatte sie eingenommen, von dem man eine Hepatitis bekommen konnte – und wogegen sollte das gewesen sein? Tante Erna war in ihrem Leben nie richtig krank gewesen, nur einmal, vor langer Zeit, kurz nachdem sie zu ihr gezogen waren, aber daran konnte er sich kaum mehr erinnern, und dann nach dem Sturz.
Er wischte sich den Schweiß mit einem Handtuch von Stirn und Hals.
Dann beschloss er, es sei genug für einen Abend geleistet, und ging duschen.
Casanova war hocherfreut, als sein Mensch endlich nach Hause kam.
Nach einem gemütlichen Abendessen machte es sich der Kater auf Nachtigalls Schoß bequem. Zufrieden rollte er sich zu einer kompakten Kugel zusammen, schloss die Augen und begann, intensiv zu schnurren. Er ließ sich auch dann nicht in seinem Wohlbehagen stören, als Nachtigall noch einige berufliche Telefonate führte. Als das erledigt war, rief er nach einem raschen Blick auf die Uhr bei Conny an.
»Na, wie ist dein Kongress?«
»Die Vorträge über Tuberkulose waren interessant – aber nun verflacht die Sache etwas. Und du?«
»Ich jage Klaus Windisch. Im Augenblick eher erfolglos, wie ich zugeben muss. Wir haben uns mit Flugblättern an die Kleingärtner gewand, sie sollen uns verdächtige Beobachtungen melden, Licht in Gartenhäusern zum Beispiel, von denen man weiß, dass die Besitzer gerade auf Mallorca sind und ähnliches. Irgendwo muss der Kerl doch untergetaucht sein. Es ist kühl – er kann nicht im Wald schlafen.«
»Du wirst ihn finden. Du bist ein guter Hauptkommissar.«
»Danke.« Er schickte ihr einen Kuss durch die Leitung.
»Sag mal, gibt es Medikamente, die eine Leberschädigung verursachen?«
»Ja. Einige. Wieso? Hast du eine?«
»Nein, ich nicht! Tante Erna. Sie sagt, es sei eine Medikamentennebenwirkung, aber sie will mir nicht verraten, von welcher Arznei und wogegen die gewirkt hat.«
»Du bist echt besorgt, nicht wahr? Geht es ihr denn schlecht?«, fragte Conny ernst.
»Ja. Ihre Haut hat eine sonderbare Farbe bekommen, und sie hat Nasenbluten. Sabine meint, sie wäre auch manchmal etwas verwirrt, aber das könnte ja auch einfach das Alter sein.«
»Wie verwirrt?«, wollte Conny in ihrem Ärztinnenton wissen.
»Nun, sie ist mitten in der Nacht aufgestanden, hat sich angezogen und wollte gerade das Haus verlassen, um einkaufen zu gehen, als Sabine sie noch abfangen konnte. Oder sie stand plötzlich bei Sabine und Johannes im Schlafzimmer und wollte mit unseren verstorbenen Eltern über Erziehungsfragen diskutieren.«
»Das ist schon heftig. Bisher hatte sie das nicht, oder?«
»Nein, nie. Ich dachte manchmal, sie sei ein bisschen neben der Spur, wenn sie wieder abenteuerliche Geschichten erzählte, aber die haben immer gestimmt.«
»Ich will dir nichts vormachen, als Hautärztin kenne ich mich
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