Menschenfänger
sicher recht«, räumte Nachtigall ein.
»Dr. Krokor hat auch eine direkt schwärmerische Vorliebe für Sarcophagide. Ich denke, schon der Name ist bezeichnend. Auch ihre Larven hat er gefunden. Ihr kennt sie bestimmt – es handelt sich dabei um die Gemeine Fleischfliege. Anders als die Schmeißfliege legt sie keine Eier auf einer Leiche ab, sondern die lebende Larve. Mein Studienkollege ist immer wieder gerne bereit, von der Schönheit dieser Fliege zu berichten. Sie hat nämlich einen gestreiften Vorder- und einen karierten Hinterleib. Das ist bestimmt noch niemandem hier aufgefallen – aber nun werden Sie es sicher bemerken, wenn zufällig eine dieser Fleischfliegen neben Ihrem Teller landet. Ach, er hat übrigens auch ein paar Fraßspuren von aasfressenden Käfern gefunden. Da wir ihm keine Exemplare mitliefern konnten, kann er natürlich auch nicht sagen, wer hier genagt hat. Aber er tippt auf Großen Aaskäfer und Teppichkäfer. Sie können gut fliegen und so mühelos auch in den dritten Stock gelangen. Aber auch wieder verschwinden, wenn sie gestört werden – zum Beispiel durch die Ermittlungsbeamten.«
»Aha. Aasfressende Käfer.« Er schüttelte sich möglichst unauffällig und fragte dann: »Und was sieht man hier?« Peter Nachtigall griff nach einem Foto, auf dem zwei runde Stellen zu sehen waren, über die dunkle Streifen führten, »Augen? Ich dachte immer, Fliegen hätten Facettenaugen.«
»Oh – nein, nein. Das sind Atmungsorgane. Sie befinden sich aus praktischen Gründen an der Rückseite der Maden.«
Dr. Pankratz hob den Blick und sah belustigt in drei verständnislose Gesichter.
»Ist doch eigentlich ganz logisch, wenn man sich klar macht, wie diese Tiere leben. Mit ihren Haken bohren sie sich immer tiefer in totes Gewebe. Wären etwa neben den Haken Nasenlöcher, so müssten sie sich ständig nach hinten umdrehen, um zu atmen. Außerdem bestünde permanent die Gefahr, dass die Atmungsöffnungen verstopften oder verklebten. Und wie soll eine Made die Nasenlöcher dann wieder freibekommen? Sie hat keine Hände, keine lange Zunge. Sie würde qualvoll an ihrem Futter ersticken. Die Atemöffnungen hinten zu haben, ist für sie eine direkt lebensnotwenige Anpassung.«
Als Nachtigall gerade in seinen Wagen steigen wollte, klingelte sein Handy.
»Na, mein Strohwitwer? Alles im Lot?«
»Ja, danke der Nachfrage. Aber übermorgen ist Conny ja wieder zurück. Ich werde es aushalten.«
»SMS-Beziehung? Auf die Dauer sind die sehr unbefriedigend, habe ich mir sagen lassen!« Sabine lachte und Nachtigall merkte, wie sich seine Stimmung hob.
»Aber du rufst doch nicht bei mir an, um mich nach meinem seelischen Zustand zu fragen. Wolltest du mich an mein Versprechen erinnern? Ich war gerade auf dem Weg zu euch!«
»Nein«, antwortete sie plötzlich ernst.
»Ist irgendetwas nicht in Ordnung? Mit Johannes alles im grünen Bereich?«, fragte der große Bruder alarmiert. Sabine war nicht leicht zu erschüttern, und wenn sie so ernst sprach, war das ein echtes Warnsignal.
»Es muss nicht immer eine Ehekrise sein, wenn man sich Sorgen macht!«
»Stimmt. Also, was ist los? Tante Erna?«
»Ich war doch heute mit Tante Erna bei ihrem Hausarzt. Sie ist richtig schwer krank. Schon seit Jahren. Und hat uns nie was davon gesagt.«
Tante Erna. Ihre Rettung vor dem Heim. Nach dem tödlichen Unfall der Eltern hatte sie die Kinder Peter und Sabine bei sich aufgenommen und großgezogen. Und nun lebte Tante Erna bei Sabine und ihrer Familie. Nachtigall fragte nach: »Was heißt krank in diesem Fall genau?«
»Ihre Leber. Sie sieht schon seit einiger Zeit ein bisschen seltsam aus. Aber ich dachte, sie trinkt Möhrensaft, um im Winter nicht so käsig auszusehen wie der Rest der Welt. Du weißt ja, wie sie ist. Eitel! Und nun stellt sich raus, dass ihre Leber schwer geschädigt ist.«
»Wovon? Ich kann mich nicht erinnern, Tante Erna je betrunken erlebt zu haben.«
»Nein, nein. Medikamente können auch eine Hepatitis auslösen – aber der Arzt darf mir nicht sagen, was wirklich los ist – und Tante Erna will es mir nicht erzählen.«
»Wie ernst ist die Lage nun wirklich?«
»Todernst. Der Arzt meint, man kann nur das Beste hoffen, aber weil die Erkrankung schon seit so vielen Jahren schwelt, solle man keine Wunder erwarten.«
Das klang nicht gut. Sabine neigte nicht zu Übertreibungen. Eher bagatellisierte sie alles.
»Okay. Ich komme vorbei und spreche mal ein, zwei, drei ernste Worte mit ihr. Hat
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