Menschenfänger
gebracht?«
»Das ist Interpretationssache. Für ihn jedenfalls war auch das ein ›Erfolg‹. Die Mutter von Frau Windisch nahm den stürmischen Jungen immer mal wieder für ein paar Tage bei sich auf, um den erschöpften Eltern eine Regenerationspause zu verschaffen. In ihrem Garten stand eine Voliere, in der sie heimische Vogelarten hielt. In der Regel handelte es sich dabei um Jungtiere, die aus dem Nest gefallen waren und von ihr großgezogen wurden. Die, die nicht ohne Hilfe in Freiheit überleben konnte, durften in der Voliere bleiben und wurden versorgt. In einem der Sommer, in denen sie ihren Enkel zu sich nahm, fing dieser an, sich auf widerwärtige Weise mit den Vögeln zu beschäftigen. Er lockte sie mit einer Leckerei ans Gitter. Waren sie ganz ins Picken vertieft, packte er sie an einem oder beiden Beinen – je nachdem, wie gut er sie zu fassen kriegte. Die panischen Tiere versuchten natürlich, sich loszureißen, was auch unter Verlust eines oder beider Beine gelang. Sie starben qualvoll auf dem Boden des Käfigs. Die, die es nicht schafften zu entkommen, erstach er. Mit einem Stich – direkt in die Brust. Dazu benutze er ein angeschliffenes Küchenmesser. Seine Großmutter vermutete wohl, ihr Enkel Klaus sei der Täter, konnte es aber nicht beweisen. Bis zu ihrem Tod durfte er sie jedenfalls nicht mehr besuchen. Er berichtete mit leuchtenden Augen von dieser Aktion. Er meinte, hätte man ihn damals gefragt, ob er der Vogelkiller war, hätte er es sofort zugegeben. Aber die Polizei suchte einen perversen Erwachsenen, und er geriet zu keiner Zeit öffentlich unter Verdacht.«
»Er hat kein Unrechtsbewusstsein bei seinen Taten.«
»Ja. Das hatte er nie. Er glaubte, es stehe ihm eher Bewunderung zu.«
37
Peter Nachtigall und Michael Wiener fuhren nach Branitz.
In einem großen weißen Haus, direkt an der Durchgangsstraße, mit Walmdach und gepflegtem Vorgarten, wohnten die Eltern von Franka Lehmann.
»Sie glauben, dieser Frauenmörder hat unsere Tochter entführt?« Wilfried Lehmann starrte Nachtigall sekundenlang ungläubig an. »Aber warum?«
»Das wissen wir leider auch nicht genau. Aber alle Indizien weisen darauf hin, dass er sie in seine Gewalt gebracht hat.«
Frau Lehmann saß auf dem Sofa und knetete ein Taschentuch in ihren Händen.
Ihr Mann legte seinen Arm um ihre Schultern.
Nachtigall und Wiener hatten auf Sesseln Platz genommen.
»Und nun? Was unternehmen Sie, um meine Tochter zu retten?«, wollte der Vater in aggressivem Ton wissen.
»Wir suchen überall nach Klaus Windisch. Alle Streifenwagen halten nach ihm Ausschau, Kollegen durchsuchen alle leer stehenden Häuser in der Stadt, die Bevölkerung wurde zur Mithilfe aufgefordert. Wir sind nicht untätig!«
»Weiß Marnie das schon?«, flüsterte die Mutter, und Michael Wiener nickte. Er hatte einen Kloß im Hals und musste sich räuspern, bevor er antwortete.
»Sie wollte Franka gestern besuchen, und als sie sich auch heute nicht bei ihr meldete, hat sie die Polizei – also uns – alarmiert.«
»Würden Sie sich für eine Fernsehaufzeichnung zur Verfügung stellen? Wir möchten versuchen, den Entführer mit Ihrer Hilfe direkt anzusprechen und dazu zu bringen, Ihre Tochter wieder freizulassen.«
»Und Sie glauben wirklich, dass so etwas funktioniert?«
»Wir sollten es probieren! Unser Psychologe wird Sie vorbereiten.«
»Tja – wir tun alles, um Franka …«, die Stimme des Vaters brach.
»Wie ist Knut eigentlich zu erreichen?«, fragte Michael Wiener.
»Im Moment gar nicht. Er kann erst in drei Tagen wieder Kontakt aufnehmen. Funkloch oder was weiß ich. Polarforscher!«, gab Wilfried Lehmann Auskunft.
»Mein Gott! Er weiß ja auch noch gar nichts! Franka konnte es ihm ja noch nicht einmal erzählen, weil sie nicht mit ihm telefonieren konnte!«
Frau Lehmann schluchzte laut auf und ließ sich in eines der Kissen fallen.
»Was meint sie damit?« Nachtigall sah den Vater fragend an.
»Franka erwartet ein Baby.«
38
»Was haben wir?«
»Ich war bei Dr. Schmolk. Er ist Prognosegutachter und hat viele Gespräche mit Windisch geführt. Sie kennen sich schon seit seiner Inhaftierung.« Er fasste zusammen, was er erfahren hatte, und setzte hinzu: »Klaus Windisch hat von Anfang an eine Therapie abgelehnt. Er ist der Auffassung, der Therapiebedarf bestünde nicht bei ihm, sondern bei denen, die den positiven Aspekt seiner Handlungen nicht zu würdigen wüssten. Dr. Schmolk meint, er wollte sich wahrscheinlich nur
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