Menschenfänger
seine fantastischen Erinnerungen und Vorstellungen nicht rauben lassen. Damals ging Windisch davon aus, dass ihm für die nächsten Jahre nur die Freude seiner Träume bliebe, und die wollte er sich nicht wegtherapieren lassen.«
»Der war schon als Kind krank. Warum hat das nur niemand bemerkt?«
»Sie haben es ja bemerkt – aber sie sind nicht an ihn rangekommen. Viele Eltern versuchen erst einmal, die Schwierigkeiten allein zu bewältigen, sicher auch, weil sie sich schuldig fühlen. Es dauert lange, bis sie bereit sind, Hilfe von außen anzunehmen.«
»Ein fanatischer, emotionsloser Tierquäler!«
»Und mit Menschen geht er jetzt ganz ähnlich um!«
»Eines ist jedenfalls klar – dieser Mann wird nicht freiwillig mit dem Morden aufhören. Er probiert mal was Neues aus – doch am Ende müssen seine Opfer sterben. Seine Gier ist unersättlich, und ich fürchte, wir haben nicht viel Zeit, um Franka Lehmann zu finden!«, mahnte Couvier.
»Die Streifen am Südeck sind verstärkt worden. Aber bisher haben sie noch nichts Verdächtiges bemerkt. Auch der Wagen vor Hildegard Clemens Anwesen hat niemanden kommen oder gehen sehen.« Albrecht Skorubski war schlecht gelaunt. Er hatte sich das völlig anders vorgestellt. Cottbus war schließlich keine Millionenstadt – warum fanden sie den Kerl bloß nicht?
»Ich hab die Kollege gebete, mir ein paar Fotos zu gebe, auf dene man sehe kann, wie der Windisch sich hätte verändern könne. Also hier zum Beispiel mit roten Haaren oder hier mit Schnurrbart, Vollbart und kahl rasiert.«
Peter Nachtigall war verblüfft. So ein kleines Detail und so eine große Wirkung. Mit Vollbart hätte ihn bestimmt nicht einmal Hildegard erkennen können!
Er pinnte die Fotos an der Stellwand fest. Ein Mann, viele Gesichter.
»Wenn Windisch diese Franka Lehmann tatsächlich entführt hat, bedeutet das eine Änderung seines Vorgehens. Dafür hat er sicher einen triftigen Grund.« Emile Couvier knetete seine Nasenwurzel.
»Franka Lehmann ist schwanger. Zehnte Woche.«
Es wurde unerträglich still im Büro.
»Das kann er doch unmöglich gewusst haben. Für die Auswahl seines Opfers hat es demnach keine Rolle gespielt.«
»Wenn es ihm um Macht geht, ist es dann nicht einfach eine logische Fortsetzung? Könnte er noch mehr Macht haben? Eine wehrlose Frau an einem unbekannten Ort, ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert? Über die er herfallen kann, wann immer es ihm beliebt? Und das Kind töten?«, meinte Nachtigall mit gesenkter Stimme und dachte an das Band der Vernehmung, das er gehört hatte. Wollte Windisch mit dieser Frau seine große Fantasie umsetzen und herausfinden, ob sein Triumph noch größer war, wenn er die Frau schreien hören konnte, ihr nicht den Mund verschließen musste.
»Ja, da hast du sicher recht. Aber bisher dachten wir doch, der Moment des Todesstoßes sei sein Ziel, seine Belohnung, sozusagen. Warum sollte er den verschieben? Das ist neu. Er hat ja auch bisher nicht die Erfahrung gemacht, gestört worden zu sein. Er hatte stets so viel Zeit, wie er wollte. Daran kann es nicht liegen. Und bisher hat er den Frauen den Mund verschlossen – sie hat ihm vielleicht gar nicht erzählen können, dass sie ein Kind erwartet«, überlegte Couvier weiter.
»Gut, wahrscheinlich hast du recht. Er weiß es nicht. Warum hat er sie mitgenommen, wozu dieses Risiko? Meinst du nicht auch, es stachelt seine Gier an, wenn er verzichtet? Er will seine Lust auf den letzten Augenblick ins Unermessliche steigern und den Triumph so noch grandioser machen. Er träumt davon, die Frauen bei der Folter schreien hören zu können.« Peter Nachtigall erschauerte, als er seinen Worten nachlauschte.
»Ja? Wollte er das? Gut, das wäre natürlich eine Erklärung. In den Wohnungen konnte er dieses Risiko natürlich nicht eingehen, aber wenn er sie an einen einsamen Ort verschleppte …« Couvier runzelte die Stirn.
»Oder er hat sie mitgenommen, weil er glaubt, dass ihm so schnell keine andere Frau mehr ins Netz gehen wird. Immerhin warnen jetzt alle Medien, und sein Bild ist in allen Zeitungen und in der ›Tagesschau‹«, rückte Albrecht Skorubski pragmatische Überlegungen in den Vordergrund.
»Sollen wir die Eltern der Entführten im Fernsehen erscheinen lassen? Einen Aufruf an den Täter, die junge Frau zu schonen und ihrer Familie zurückzugeben? Sie wären einverstanden. Ich habe sie schon gefragt«, wollte Nachtigall von Emile Couvier wissen.
»Es geht um Macht – eine Bitte der
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