Menschenfänger
Links und rechts des Ganges standen Türen offen, Musik hallte durch kahle Räume, irgendwo pfiff jemand unmelodisch die Melodie mit. Ein Stockwerk höher waren noch zwei Praxen in Betrieb, Patienten kamen und gingen. Hier konnte sich nur schwer jemand verbergen.
Adam und Klein sahen sich an, zuckten mit den Schultern und kehrten zum Auto zurück.
»Nee, hier kann er sich wohl kaum verstecken. Außerdem wird sicher die Tür am Abend abgeschlossen. Die Handwerker würden merken, wenn sich jemand am Schloss zu schaffen gemacht hätte. Und die scheinen ja wirklich in allen Räumen gleichzeitig zu werkeln. Nee, hier ist nix. Fahren wir mal rüber. Hinten bei der Markgrafenmühle lang.«
Mirek Adam nickte.
Über die Madlower Hauptstraße fuhren sie stadteinwärts, bogen hinter dem Südfriedhof in die Hermann-Löns-Straße ab. Am Wald entlang führte die Straße in Richtung Spree.
An der Ecke zur Bautzener Straße meinte Adam plötzlich: »Ey – halt mal an. Hast du gewusst, dass das Haus hier immer noch unbewohnt ist?«
Dennis Klein stellte den Wagen ein paar Meter weiter ab.
Die beiden Beamten betraten einen verwilderten Garten. Das imposante Gebäude hatte neue Fenster bekommen, aber schien ungenutzt. Dennis Klein schlich in den hinteren Teil des Gartens, Mirek Adam untersuchte in der Zwischenzeit die Fassade zur Bautzener Straße hin und machte dabei eine vielversprechende Entdeckung.
42
Klaus Windisch genoss seinen Triumph.
Befriedigt wanderte sein Blick über den nun leblosen Körper.
Es war eine gute Idee gewesen, überall Teelichter zu verteilen, fand er. Nun wirkte der Raum wie eine Kapelle.
Eine Kapelle des Todes.
Die Frau war eine Heilige des Leidens.
Und er ihr Hohepriester.
Seine eigene Größe begeisterte ihn und speiste eine neue Woge dieses unglaublichen, göttlichen Gefühls, die ihn auf ihrem Kamm in schwindelnde Höhen hob. Am Ende hatte sich die Arbeit doch gelohnt, überlegte er. Er würde schnell eine neue Frau brauchen. Die Woge wollte genährt werden.
Hildegard fiel ihm ein. Noch einmal konnte er ihr die Geschichte von der angeblichen Rettung nicht auftischen. Ausgeschlossen, dass sie die Kröte ein zweites Mal schluckte. Dieser Bulle hatte ihr bestimmt hart zugesetzt. Aber Klaus Windisch war nicht besorgt. Hildegard, das wusste er, war stark und in ihrem Glauben an seine Unschuld unerschütterlich. Er lachte rau. Nicht zu fassen, Hildegard war schon einzigartig. Am Ende würde es ihm, wie immer, gelingen, sie mit einer neuen Geschichte zu täuschen.
Bevor er sich Gedanken über ein weiteres Opfer machen konnte, musste erst das naheliegende Problem gelöst werden: Dieses hier musste an einen anderen Ort gebracht werden. Oder er zog um. Windisch überließ sich seiner Fantasie, die ihm ausmalte, wie er von Haus zu Haus zog und schon bald überall in der Stadt seine Frauen darauf warteten, von der Polizei entdeckt zu werden, während er schon längst mit einer anderen in einem anderen Haus … Er seufzte verzückt. Das war ein verlockender Gedanke, aber der einfachere Weg wäre, die Frau aus dem Haus zu bringen, später, in der Dunkelheit. Es widerstrebte ihm, sie einfach auf einer Wiese abzulegen. Das hatte sie nicht verdient, schließlich war es mit ihr etwas ganz Besonderes gewesen. Sie war die erste, die er geraubt hatte, und weitere sollten in Kürze folgen. Er hatte viel zu viel in sie investiert, um sie nun einfach irgendwo ›abzukippen‹. Nein, das kam nicht in Frage. Ihm schwebte ein anderer Ort vor, ein heiliger. Vielleicht auf dem Friedhof! Ja, das war ein guter Gedanke. Je mehr er darüber nachdachte, desto logischer erschien es ihm. Er verließ beschwingt sein Versteck, um das Friedhofsgelände in Augenschein zu nehmen.
Es war so unglaublich passend.
43
»Herr Nachtigall?«
»Ja.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Gleich sieben! Eigentlich hatte er jetzt zu Tante Erna ins Krankenhaus fahren wollen, um Sabine zu entlasten, doch er erkannte am Vibrieren der Stimme des Anrufers, dass daraus wohl nichts werden würde.
»Ich glaube, wir haben Franka Lehmann gefunden«, presste die unglaublich junge Stimme des Anrufers hervor.
»Sie lebt?«, fragte Nachtigall von einer Hoffnung beseelt, die er im Grunde nicht hatte.
»Nein.«
»Wo?« Er gab sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Michael Wiener würde das seiner Freundin schonend beibringen müssen, und er ihm. Aber vielleicht würde der junge Kollege die Eltern des Opfers informieren können.
»Sie
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