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Menschenfänger

Menschenfänger

Titel: Menschenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Steinhauer
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wollte. Es dauerte einen Moment, bis Nachtigall die Treppe gefunden hatte, dann schob er sich Stufe für Stufe voran. Noch bevor er den Treppenabsatz erreichte, konnte er den zitternden Lichtschein wahrnehmen.
    Franka Lehmann lag, wie die beiden anderen Opfer, auf dem Rücken und starrte aus aufgerissenen Augen blicklos in die Weite. Um ihren Körper herum brannten unzählige Teelichter, durch deren sanften Schein eine seltsam religiös anmutende Stimmung im Raum entstand.
    Der nackte Körper der jungen Frau wies eine Vielzahl von Verletzungen auf, die Decke, auf der sie lag, war blutgetränkt. Wie bei den anderen. Nur kam es Nachtigall so vor, als habe sie mehr Schnittwunden, mehr Brandverletzungen, mehr Strommarken. Als habe er sich an ihr ausgetobt. Aus ihrer Brust ragte ein Dolch, unter die Haut oberhalb der linken Brust hatte der Täter eine Schere geschoben, wie eine exzentrische Brosche.
    »Du Tier!«, zischte Nachtigall hilflos und wehrte sich gegen den Gedanken an die Worte von Alexandras Vater. Sie hatten alles versucht, ihn so schnell wie möglich zu kriegen! Aber natürlich – niemals hätte er aus der JVA entkommen dürfen. Auch diese Frau könnte noch leben, und ihr Baby ebenfalls. Nachtigall schüttelte sich. Er beugte sich hinunter und berührte Franka Lehmanns Hand. Sie war kühl.
    Er musste Michael Wiener informieren – und Albrecht.
    Dann hockte er sich in eine dunkle Ecke und wartete.
    Um ihn herum war verstreutes Verbandsmaterial auf dem Boden, daneben Cremetiegel, achtlos weggeworfen. Nachtigall öffnete eines der Döschen und schnupperte. Ätherische Öle! Hildegard Clemens!
    Nachtigalls Puls schnellte bei dem Gedanken an diese törichte Frau in die Höhe, und er hörte sein Blut rauschen. Mühsam gelang es ihm, sich wieder zu beruhigen.
    »Vielleicht müsste man dir mal zeigen, was dein Schatz hier angerichtet hat!«, flüsterte er vor sich hin und wusste doch, dass diese Frau immer irgendeine Geschichte erfinden würde, um ihren Klaus zu entlasten. Sie wollte sein wahres Gesicht nicht sehen, daran würde auch der Anblick des Opfers nicht das Geringste ändern.
    Jetzt hatten sie eine realistische Chance, diesen Mörder zu fassen.
    Es war unwahrscheinlich, dass er die Polizei bemerkt hatte.
    Wohin mochte er gegangen sein? Ließ eine Tote hier zurück und ging – einkaufen? Spazieren? Ins Kino? Oder, bohrte sich ein entsetzlicher Verdacht in Nachtigalls Denken, oder er war schon wieder auf der Jagd!
    Er versuchte, noch tiefer in die Ecke zu rutschen, und dachte über Klaus Windisch nach.
    Es musste schließlich irgendeinen Grund für diese grausamen Morde geben! Es konnte doch nicht sein, dass jemand mordete, nur weil er zeigen wollte, dass er es konnte!
    Emile war der Meinung, es ginge bei diesen Taten um Macht und Triumph. Dieses Szenario, das der Täter hier arrangiert hatte, passte ganz gut zu dieser Hypothese. Andererseits gab es doch bestimmt einen Grund dafür, dass Windisch glaubte, er brauche diese Form von Macht und Triumph. Es ging nicht um Liebe, hier herrschte Kälte.
    Nachtigall versuchte, sich an Details aus der Akte zu erinnern. Windisch war ein weggegebenes Kind. Seine Mutter hatte damit zum Ausdruck gebracht, dass er ihre Erwartungen so wenig erfüllte, dass er es nicht wert war, bei ihr bleiben zu dürfen. Er war minderwertig. War es das? Tötete er mit jeder dieser jungen Frauen seine kaltherzige Mutter? Aber müssten die Opfer dann nicht älter sein? Sich ähneln? Oder hasste er einfach alle Frauen? Eine unerwiderte Jugendliebe? In der Akte stand, die Pflegefamilie habe den Jungen sehr geliebt, sich intensiv mit ihm beschäftigt. Aber offensichtlich waren sie nicht in der Lage gewesen, die aggressiven Träume des Kindes wegzulieben. Wahrscheinlich ging so etwas gar nicht!
     
    Ein leises Geräusch aus dem Erdgeschoss schreckte ihn aus seinen Gedanken.
    Er war nicht mehr allein im Haus!
    Nun kam es darauf an, Windisch zu überrumpeln und ihm die Handschellen anzulegen, bevor er zum Nachdenken kam. Womöglich war er bewaffnet, und er würde wohl kaum zögern, eine Waffe gegen die Polizei einzusetzen.
    Schritte kamen die Treppe herauf.
    Nicht verstohlen – sondern deutlich zu hören.
    Warum sollte Windisch auch durch das Haus schleichen. Er wusste ja nicht, dass er entdeckt war.
    Nachtigall griff nach seiner Dienstwaffe, lockerte sie.

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    Hildegard Clemens wartete.
    Vergeblich.
    Klaus Windisch kehrte nicht zurück. Wahrscheinlich schien ihm die Gefahr, entdeckt zu werden,

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