Menschenfänger
liegt hier in einem leer stehenden Haus an der Bautzener Straße. Wir haben das routinemäßig überprüft, und als wir ein eingeschlagenes Fenster entdeckten, bin ich eingestiegen. Im Obergeschoss fand ich eine Tote.«
»Wie – eine Tote?«
»Die Kollegen haben natürlich darüber geredet, wie die anderen Opfer aussahen – und – und die hier sieht so aus, wie ich mir die anderen vorgestellt habe.«
»Okay. Ich bin gleich da. Ziehen Sie sich zurück, bleiben Sie in der Nähe und beobachten Sie, ob jemand das Haus betritt. Fordern Sie Verstärkung an – aber die sollen sich im Hintergrund halten. Nicht dass wir ihn noch verscheuchen!«
»Oh. Ich verstehe, was Sie meinen. Wir fahren den Wagen weg und verstecken uns.«
Peter Nachtigall legte den Hörer auf und starrte den Aktenstapel auf seinem Schreibtisch feindselig an.
Dann erhob er sich müde und trat an Michael Wieners Schreibtisch. Fragend sah der junge Mann auf.
»Sie haben Franka gefunden«, stellte er traurig fest.
Peter Nachtigall nickte.
»Ich fahre hin. Bleib am Telefon, ich rufe an. Sowie ich sicher weiß, ob sie es ist. Vielleicht könntest du dann das Gespräch mit den Eltern führen? Marnie und du, ihr kennt sie doch.«
»Ja«, antwortete Wiener und schluckte trocken. »Und was ist mit Windisch?«
»Die Streife beobachtet das Haus. Wenn er dort auftaucht, sitzt er in der Falle. Hoffen wir, dass er kommt!«
Er legte dem jungen Kollegen die Hand auf die Schulter, drehte sich dann um und nahm seine Jacke vom Stuhl.
»Albrecht rufen wir nicht an, er ist schon zu Hause. Es ist früh genug, ihn zu informieren, wenn wir mehr wissen.« Dann war Hauptkommissar Nachtigall zur Tür raus.
Zügig lenkte er sein Auto durch die um diese Zeit vollen Straßen in Richtung Sportzentrum.
Am Südfriedhof bog er links ab und parkte gegenüber einem Fitnessstudio. Von hier aus waren es nur noch ein paar Schritte bis zu dem leer stehenden Gebäude an der Ecke zur Bautzener Straße.
Dunkel lag das große Haus vor ihm.
Fast lag es im Wald.
Doch Stille umgab es nicht. Der Verkehr von der Straße der Jugend war deutlich zu hören, und auch die Hermann-Löns-Straße war stärker befahren, als er erwartet hatte.
Die Beamten, die den Tatort bewachten, waren nicht zu entdecken. Nachtigall, wieder einmal froh über seinen Schwarztick bei der Kleidung, schob sich in den Garten und suchte die Fassade ab. Keine beschädigte Scheibe zu entdecken. Hatte der Kollege nicht gesagt, er wäre über ein eingeschlagenes Fenster eingestiegen? Aber wo – vielleicht an der anderen Seite des Gebäudes?
Nervös zuckte er zusammen, als sich eine Hand auf seine Schulter legte.
»Mann!«, flüsterte er. »Haben Sie mich erschreckt!«
»Sorry – aber ich hätte doch nicht laut rufen können, oder?«
In der Dunkelheit konnte Nachtigall nicht erkennen, ob der Uniformierte lachte, aber er glaubte, es als leichtes Beben zu spüren.
»Da haben Sie allerdings recht!«
»Windisch ist hier vorne rein. Hinter dem Efeu verbirgt sich noch ein Fenster. Ich habe uns direkt von hier aus Zutritt verschafft – da können wir unbemerkt ins Haus. Er wird nicht sehen, dass ich das Schloss der Haustür geknackt habe.«
Während er sprach, zog er Nachtigall zu einem gemauerten Podest. Die Treppe, die einmal zur Eingangstür geführt hatte, war verschwunden. Nachtigall würde das Podest ohne Hilfe der Stufen erklimmen müssen.
»Wie viele Leute haben Sie hier?«
»Bisher vier. Aber es kommen noch sechs.«
»Fordern Sie noch mal Unterstützung an! Die sollen sich beeilen. Schließlich wissen wir ja nicht, wann er zurückkommt und ob er womöglich bewaffnet ist. Sorgen Sie dafür, dass sich die Kräfte hier überall verteilen. Wenn er auftaucht, darf er uns unter keinen Umständen durch die Lappen gehen.«
Er ahnte das Nicken des anderen nur.
»Wo liegt die Frau?«
Nachtigall spürte deutlich, wie der Kollege zusammenzuckte. So schlimm also. Wie die anderen.
»Im Obergeschoss. Die Treppe rauf und dann links. Sie können es nicht verfehlen, er hat den ganzen Raum mit Kerzen beleuchtet.«
Der Uniformierte öffnete ihm die Tür und ließ das Schloss wieder hinter ihm einschnappen. Damit Windisch nichts bemerken würde, aber die Kollegen rasch ins Haus gelangen konnten – sollte sich das als notwendig erweisen –,sollte er am Griff rütteln.
Die Dunkelheit im Haus wirkte bedrohlich – wie ein schrecklicher Feind, der allen Mut und alle Kraft aus dem Körper des Eindringlings saugen
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