Menschenfänger
zu groß. Das war verständlich, denn wenn er verhaftet wurde, konnte er sich auch nicht mehr um diese arme verletzte Frau kümmern. Unschlüssig schob sie die DVD, die ihr dieser seltsame, von seiner fixen Idee – Klaus sei der Täter –, besessene Hauptkommissar gegeben hatte, von einer Seite des Küchentischs auf die andere.
Bestimmt alles voller Lügen!
Klaus hatte sie schon davor gewarnt, er wusste, welch unfaire Methoden die Polizei zur Beeinflussung nutzte.
Aber, grübelte sie weiter, wenn sie sich die DVD ansähe, wüsste sie wenigstens, welche Lügen sie über Klaus verbreiteten. Sie war stark genug, solchen Anfeindungen mit der ihr eigenen Gelassenheit zu begegnen, versuchte sie die aufsteigende Unruhe in ihrem Inneren zu dämpfen. Keine noch so geschickte Lüge konnte eine Frau wie sie erschüttern, redete sie sich gut zu.
Vielleicht, mahnte eine kleine Stimme ihres Unterbewusstseins, vielleicht brauchst du ein bisschen Unterstützung. Du solltest dir diese Reportage nicht ganz allein ansehen.
Geschäftig lief sie in der Küche hin und her, wobei sie die silbern glänzende Scheibe stets im Auge behielt, als fürchte sie, die DVD könne sie hinterrücks anfallen.
Ein Glas Wein zur moralischen Unterstützung wäre sicher kein Fehler, beschloss sie und goss sich eine großzügige Menge in einen Kelch. Solche Bilder, wie die, die sie wahrscheinlich erwarteten, sollte man sich nicht auf leeren Magen ansehen, kam ihr in den Sinn, und so bestrich sie sich zwei Scheiben Vollkornbrot mit ihrer selbstangerührten Frischkäsemischung. Die Kräuter darin würden helfen, ihre innere Balance zu behalten. Zum Schluss goss sie einen kleinen Schluck des energetisierten Wassers in ein hohes Glas. Erdmute schwor auf die unglaubliche Kraft, die in diesem Wasser gespeichert war, bis man davon trank und sie sich im Körper freisetzte. Schaden konnte so ein bisschen zusätzliche Kraft sicher nicht, und so stellte Hildegard all die vorbereiteten Dinge auf ein Tablett. Dann griff sie entschlossen nach der DVD und ging mit festen Schritten ins Wohnzimmer.
Zwei Stunden später hatte die Wirkung von Kräutern und Spezialwasser auf ihre Stabilität deutlich nachgelassen, und selbst der Wein konnte ihr keine Ruhe mehr bescheren. Nachdem sie lange vor sich hin gestarrt hatte, gab sie sich endlich einen Ruck. Mit flatternden Händen griff sie nach dem Telefon. Ihre Stimme zitterte deutlich, als sie leise »Erdmute? Kannst du wohl mal rüberkommen? Ich habe ein echtes Problem« in den Hörer flüsterte.
45
Albrecht Skorubski hatte seiner Frau einen gemütlichen Abend versprochen.
Zuerst waren sie zum Essen im Café Kilau gewesen, hatten sogar ein Dessert bestellt und saßen nun entspannt am Wohnzimmertisch und waren in eine Partie Schach vertieft. Voller Sorge beobachtete der Hauptkommissar, wie seine Frau die Schlinge um seinen König immer enger zog. Fast konnte man den Eindruck gewinnen, Schwarz sei bereits chancenlos, da entdeckte er plötzlich die Möglichkeit, mit seinem Springer die Situation entscheidend zu entschärfen. Er grinste. Frau Skorubski hatte sich getäuscht, so einfach war er nicht zu bezwingen.
Das Telefon zerstörte die angenehme Stimmung jäh.
Skorubski seufzte. Das war nun schon die zweite Störung und das verhieß nichts Gutes. Zuerst hatte Nachtigall ihm mitgeteilt, es gäbe keine Hoffnung mehr, Franka Lehmann lebend zu finden, der Täter habe sie getötet, aber er habe die Angelegenheit im Griff, Skorubski solle zu Hause bleiben. Und nun klingelte es schon wieder.
»Skorubski!«, meldete er sich gereizt.
»Ja, guten Abend. Holger Grieß hier. Wir haben gerade eine Vermisstenmeldung reinbekommen. Der Hauptkommissar Nachtigall ist nicht zu erreichen, seine Mailbox meldet sich, und Herr Wiener ist zu einem Gespräch unterwegs. Da dachte ich halt …«
»Ja, ist ja in Ordnung.«
»Na ja, ich dachte, es geht Sie an, weil der Windisch ja noch nicht gefasst ist, und sein letztes Opfer hat der doch auch entführt.«
»Wer hat denn die Meldung gemacht?«
»Der Ehemann. Dr. Benno Brusching, Sie wissen schon. Der Brusching! Er ist heute Abend nach Hause gekommen und seine Frau war verschwunden. Haus und Garten hat er abgesucht, niemand da. Im ganzen Haus fand sich keine Nachricht, das Licht brannte überall, aber es gab keine Spur von seiner Frau.«
»Hinweise auf einen Streit? Wütende Ehefrauen packen schon mal ihre Koffer und verschwinden, ohne eine Nachricht zu hinterlassen.«
»Angeblich
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