Menschenfänger
zu öffnen? Zeit war genau das, was Franka Lehmann am wenigsten hatte. Nachtigall sah die entsetzlich geschundenen Körper der anderen Opfer vor sich und zweifelte daran, dass man solche Verletzungen überhaupt überleben konnte. Derweil igelte diese Frau sich in das Lügengebäude ein, das Windisch ihr erbaut hatte. Und er war nicht imstande, es einzureißen. Peter Nachtigall seufzte. Auf dem Flur hörten sie Schritte der Polizisten, die ihre Suche beendet hatten. Offensichtlich hatten sie nichts gefunden, was ihm entscheidend weitergeholfen hätte, sonst wäre Albrecht zu ihnen gekommen – aber das Schlimmste war, dass ihnen Windisch ganz offensichtlich wieder durch die Lappen gegangen war.
Er erhob sich schwerfällig und warf einen langen Blick auf Hildegard Clemens, die trotzig auf den Boden zwischen ihren Füßen starrte. Hier würde er heute nichts mehr erfahren.
Er zog eine DVD aus der Jackentasche, schob seine Visitenkarte in die Hülle und legte ihr die schmale Box in den Schoß.
»Schauen Sie sich diesen Bericht in Ruhe an. Der Fall Windisch. Vielleicht erfahren Sie ja dabei viele Neuigkeiten. Sollten Sie mich anrufen wollen – meine Nummer habe ich in die Hülle geschoben. Vielleicht brauchen Sie danach jemanden zum Reden.«
Damit wandte er sich um und verließ grußlos den Raum.
Wie viel Zeit blieb ihm noch, Franka Lehmann und ihr Kind zu retten?
41
Klaus Windisch warf einen enttäuschten Blick auf die Lehrerin.
Jetzt, nachdem er ihre Wunden mit Hildegards Cremes versorgt und verbunden hatte, sah der Körper wie ein ungelenk hergestellter Flickenteppich aus.
So hatte er sich die Sache wahrhaftig nicht vorgestellt! Er wollte sich doch nur diese ständige Überrumpelei sparen und ein bisschen länger mit einer Spaß haben. Nicht, dass er glaubte, er könne beim nächsten Mal Probleme haben, einer Frau irgendeines seiner Märchen aufzutischen. Nein, sicher nicht. Doch auf der anderen Seite wuchs ja auch das Risiko, erkannt zu werden. Aber diese Verpflasterung nahm mehr Zeit in Anspruch als das Fangen einer neuen Frau. Und der Reiz des Kreativen blieb vollkommen auf der Strecke!
Er stieß einen Laut aus, der dem wütenden Fauchen einer Katze sehr nahekam.
Rücksichtslos riss er ein Pflaster nach dem anderen ab.
Ein leises Stöhnen signalisierte ihm, dass sein Opfer noch am Leben war. Ihr Atem ging flach, und die Farbe des Körpers glich der von Alabaster. Was war Hildegard doch nur für eine unglaublich einfältige Frau, schoss es ihm durch den Kopf. Sie hatte fast ohne Zögern das neue Märchen geglaubt! Wie Evelyn. Die hatte ihm auch jede Lüge als wahr abgenommen. Tja, dachte er, Frauen sind uns Männern intellektuell eben doch unterlegen!
Mit einem Papiertaschentuch wischte er die auf Franka Lehmanns Körper verbliebenen Salbenreste ab.
So sah die Kleine doch schon viel besser aus. Klaus Windischs Stimmung hob sich wieder.
An ihr hatte er testen wollen, wie lange er sich beherrschen konnte und ob ein hinausgezögerter Höhepunkt nicht alles Bisherige übertreffen würde. Gut, das war ja nun geklärt. Seine Höhepunkte waren nicht mehr zu übertreffen. Er hatte in seinem Ritual das Stadium der Vollendung erreicht.
Ein diabolisches Leuchten ließ seine Augen strahlen.
Wozu also sollte er noch warten?
Der Streifenwagen fuhr langsam durch die Straßen im südlichen Stadtgebiet.
Dennis Klein und Mirek Adam sahen sich nach unbewohnten Häusern oder Wohnungen um, die als Unterschlupf in Frage kommen würden.
»Ist mir bisher gar nicht so aufgefallen, aber hier ist ein ganz schöner Leerstand. Die Straße der Jugend ist wie ein lückenhaftes Gebiss.«
»Aber ich glaube trotzdem nicht, dass er sich in Sachsendorf was gesucht hat. Zu viele Leute. Schließlich ist sein Foto überall zu sehen. Das Risiko, dass ihn jemand auf der Straße erkennt, ist größer, je mehr Menschen er trifft.« Mirek Adam war skeptisch. »Er hat eine Frau entführt. Wie soll er die durch den Hausflur bis in irgendeine leere Wohnung bringen, ohne aufzufallen?«
Der Wagen rollte langsam am Ärztehaus in der Uhlandstraße vorbei.
»Da drinnen stehen auch viele Praxen leer. Die Ärzte ziehen um – zum Teil in dieses neue Gebiet an der Priormühle. Vielleicht ist er da untergekrochen«, meinte Dennis Klein und parkte. »Gehen wir nachsehen!«
Mit steifen Schritten traten sie durch die Glastür.
Es roch nach frischer Farbe, Handwerker liefen geschäftig durchs Treppenhaus.
Sie stiegen die Treppen hinauf.
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