Menschenfänger
Uhr zurücklassen, die nicht richtig ging – warum hatte er ihr überhaupt eine Uhr in dieses Verließ gestellt? Vielleicht würde er es ihr erklären, wenn er kam. Die Uhr könnte ihr dazu dienen, die Intervalle seines Auftauchens zu erfassen. Er würde sagen, er käme in vier Stunden wieder und brächte ihr die Medikamente und sie wüsste dann genau, wann es soweit war. Bestimmt sollte die Uhr sie beruhigen!
Sie lauschte in sich hinein, ob schon Anzeichen einer Abstoßung zu bemerken wären.
12, 13, 14, zählte sie tapfer weiter und spürte, wie sie langsam ruhiger wurde.
Noch war alles in Ordnung, ganz sicher.
Und selbst wenn sie heute die Tablette eine Stunde später nehmen müsste, konnte das doch nicht gleich all die schrecklichen Konsequenzen haben, die der Arzt als Alarmsignale einer beginnenden Abstoßung beschrieben hatte, oder?
Sie schloss die Augen.
Paula Brusching hoffte, ihr Entführer käme bald zurück, um nach ihr zu sehen. Minutenlang lauerte sie auf ein Geräusch, das verraten würde, dass noch eine Person in diesem Versteck war.
Doch plötzlich sträubten sich ihre Nackenhaare.
Windisch, schoss ihr durch den Kopf, Klaus Windisch!
47
Klaus Windisch betrat den Raum und verharrte einen Moment schweigend vor seinem Opfer.
Nachtigall rührte sich nicht. Seine kalte Wut sorgte für einen klaren Blick auf diesen rücksichtslosen Täter.
Klein war er, beinahe lächerlich klein neben seiner eigenen Größe. Leicht übergewichtig.
Ein brutaler Frauenmörder, dem es trotz aller Warnungen durch die Medien gelang, Frauen dazu zu bringen, ihm die Tür zu öffnen und ihnen seine Lügen aufzudrängen.
Evelyn Knabe hatte sich in diesem harmlos wirkenden Mann getäuscht und mit ihrem Leben dafür bezahlt. Hildegard Clemens würde ihren Irrtum wahrscheinlich auch irgendwann einsehen. Immerhin – sie lebte noch.
Der Frauenmörder umkreiste den regungslosen Körper Franka Lehmanns mehrfach, völlig in den Anblick versunken. Im flackernden Schein der Kerzen wirkte es fast wie ein ritueller Tanz. Nachtigall sah ihm zu und fragte sich, ob ein Intelligenztest mit Windisch durchgeführt worden war. Er hatte in den Unterlagen keinen Hinweis darauf gefunden. Windisch war mit Sicherheit geschickt im Umgang mit Menschen, keine Frage, aber sonst? Die Harry-Potter-Bücher fielen ihm wieder ein. Spiegelte diese Geschichte um den Zauberlehrling die geheimen Wünsche dieses Mörders? »Weil ich es kann«, hatte er immer wieder betont.
Harry kann zaubern und Klaus töten?
Unvermittelt drehte sich Windisch um und grinste den Hauptkommissar gemein an.
»Oh, das Auge des Gesetzes fällt auf mich! Welch eine Ehre! Aber irgendwann musste es wohl so kommen. Sie konnten mich wohl nicht gut einfach gewähren lassen, wie? Doch so schnell hatte ich nicht damit gerechnet, geschnappt zu werden.« Während er sprach, bewegte er sich lauernd hin und her, wie ein Fußballspieler, der beim Elfmeter versuchte, den Torwart auszutricksen.
»Ich werde Sie jetzt festnehmen und dorthin zurückbringen, von wo Sie niemals hätten entkommen dürfen.«
»Ja, ja. Das werden Sie wohl. Sie haben mich also gefunden, gute Arbeit! Hildegard kann mich nicht verraten haben, sie wusste nicht, wo ich mich verstecke. Wissen Sie, Frauen können Geheimnisse nur schlecht für sich behalten. Deshalb ist es besser, man weiht sie gar nicht erst ein«, erklärte er in verschwörerischem Ton, und Nachtigall spürte Übelkeit in sich aufsteigen, als er das Gefühl hatte, Windisch versuche, ihn ins Vertrauen zu ziehen, eine fast freundschaftliche Basis herzustellen.
Schritte auf der Treppe lenkten Nachtigall für einen Sekundenbruchteil ab.
Windisch erkannte seine Chance sofort.
Noch bevor der junge Polizist den Treppenabsatz erreicht hatte, stürmte er los, stieß den anderen hart beiseite und rannte an ihm vorbei, immer mehrere Stufen auf einmal nehmend.
»Bleiben Sie stehen!«, brüllte Nachtigall so laut, dass die Wände bebten, und lief ebenfalls los, der überrumpelte Kollege schloss sich an.
»Aufhalten!«, donnerte die Stimme des Hauptkommissars bis in den Garten, und in Büschen und hinter Bäumen hielten sich Polizisten parat, um Windisch zu überwältigen.
Doch dem gelang es, sich Haken schlagend auf die Straße durchzuschlängeln, dann rannte er in Richtung Spree.
Aufgeregt verfolgten ihn gleich sieben Beamte.
»Stehen bleiben!«
»Wir schießen!«
Doch Windisch lief weiter.
Einer der Beamten feuerte einen Warnschuss ab, doch gezielt
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