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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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abzustützen, und bekam einen Zweig des Apfelbaums zu fassen. Ein übrig gebliebener Apfel wurde heruntergeschüttelt und fiel mit einem kaum hörbaren, dumpfen Plumpsen zur Erde.
    … löst sich … fällt …
    Als er zu viel Gewicht auf ihn verlagerte, gab der Ast nach, und Simon sank ins Gras. Der Zweig entglitt seinem Griff und peitschte über seine Wange, als er zurückfederte. Es brannte, und er fiel mit weit aufgerissenen Augen auf den Rücken. Was sich gelöst hatte, trieb in seinem Inneren umher, und ihm war schlecht. Er fühlte sich schwach. Sehr schwach.
    Der Apfelbaum peitschte mit seinen Ästen, als wollte er den Sternenhimmel ausradieren, und Simon lag still und starrte in die Höhe. Die Sterne funkelten durch die Blätter, die noch am Baum blieben, und alle Kraft rann aus Simons Gliedern.
    Ich schaffe es nicht. Ich sterbe.
    Lange blieb er so liegen und wartete auf die Auslöschung, und in dieser Zeit ging ihm vieles durch den Kopf. Aber die Sterne leuchteten weiter, und der Wind heulte weiter. Er versuchte den Arm zu bewegen, und er gehorchte. Seine Hand schloss sich um Fallobst, und er ließ sie dort einen Moment liegen. Seine Mattigkeit wurde eine Spur gemildert, aber das Schwächegefühl blieb.
    Er kam auf die Knie und anschließend auf die Beine, stand da und wankte wie ein Espensprössling im Wind. Seine Hand fühlte sich seltsam an, und als er hinsah, entdeckte er, dass er immer noch den Apfel festhielt. Er ließ ihn fallen. Mit schlurfenden Füßen setzte er den Weg zu seinem Haus fort.
    Es ist etwas passiert.
    Als er schließlich seine Tür erreichte, schaute er blinzelnd zum Steg hinunter. Es war im schwachen Licht des Leuchtturms und der Sterne schwer zu erkennen, aber es sah so aus, als läge das Boot an seinem Platz. Die Steinfüllung des Bootsstegs stemmte sich den schwersten Schlägen entgegen. Er hätte zwar ohnehin nichts tun können, erst recht nicht in seinem momentanen Zustand, aber es war immerhin gut zu wissen, dass er noch ein Boot hatte.
    Er ging ins Haus, machte Licht, setzte sich an den Küchentisch, atmete in schwachen Stößen und versuchte sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass er noch lebte. Er war sicher gewesen, sterben zu müssen, und hatte darüber hinaus genügend Zeit gehabt, sich mit dieser Überzeugung auszusöhnen. Unter Anna-Gretas Apfelbaum zusammenzubrechen und vom Sturm hinweggefegt zu werden. Es hätte schlimmer, viel schlimmer sein können.
    Aber es ist nicht so gekommen.
    Während seines Tippelmarschs nach Hause hatte sich in ihm ein Gedanke, ein Verdacht eingenistet. Aus der Küchentischschublade holte er die Streichholzschachtel und öffnete sie. Obwohl sich sein Verdacht bestätigte, konnte er nicht verhindern, dass er aufstöhnte.
    Die Larve war grau. Die sonst so glänzende, schwarze Haut war verschrumpelt und ausgedörrt und hatte eine aschgraue Farbe angenommen. Simon rüttelte die Schachtel behutsam. Die Larve wand sich ein wenig, und Simon atmete auf. Er sammelte Speichel und ließ ihn fallen. Die Larve rührte sich zwar, als der Speichel sie traf, aber fast unmerklich. Sie war schwach und verkümmerte.
    Wie ich .
    Der Sturm ließ die Fensterscheibe erzittern. Simon stierte in die Schachtel und versuchte zu verstehen, ob er oder Spiritus vorausging, ob er die Larve beeinflusste oder umgekehrt. Wessen Schuld es war. Ob es an einem von ihnen lag.
    Oder an etwas Drittem. Das uns beide beeinflusst.
    Er sah zum Fenster hinaus und blinzelte. Der Leuchtturm auf Gåvasten blinzelte zurück.
    Kommunikation
    Anders wurde davon geweckt, dass er fror. Der Sturm raste ums Haus, und im Hausinneren wehte ein schwacher bis mäßiger Wind. Die Gardinen bauschten sich, und kalte Luft strich über sein Gesicht. Die Decke um die Schultern gelegt stand er auf und ging zum Fenster.
    Das Meer war in Aufruhr. Die Wellenkämme warfen sich im Mondschein rasend nach vorn, und einzelne Tropfen spritzten bis zur Fensterscheibe hinauf, die unter dem Ansturm der Böen unheilvoll knisterte. Die alten, doppelt verglasten Fenster waren eine klägliche Verteidigung gegen den Zorn der Natur. Zwei von ihnen hatten außerdem schon Sprünge.
    Was mache ich, wenn eins kaputtgeht?
    Es würde kommen, wie es kam. Er machte in der Küche das Licht an, trank zwei Gläser Wasser und zündete sich eine Zigarette an. Laut Wanduhr war es halb drei. Der Rauch seiner Zigarette wirbelte mit den Luftströmen, die das Haus durchwehten, umher. Er setzte sich an den Küchentisch und versuchte

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