Menschensoehne
ziemlich lange im Krankenhaus war und deswegen nicht dieselbe Dosis bekommen hat wie die anderen. Uns ist es nicht gelungen, das auszugleichen, obwohl Halldór diesbezüglich genaue Anweisungen bekommen hat.«
»Das lässt sich ganz einfach erklären«, sagte Kiddi Kolke und sah Sævar Kreutz in die Augen. »Ich hatte was gegen Lebertranpillen. Ich habe sie immer scheußlich gefunden. Daran hast du nicht gedacht.«
»Allerdings nicht, denn diese Kapseln waren das reinste Konfekt.«
»Das Zeugs, was da drin war, war scheußlich.«
»Ist das ein Glasauge?«
»Eine alte Blessur.«
»Ich bin gespannt darauf, deine Reaktion zu sehen, und auch deine, Pálmi. Kommt mit, und dann werde ich versuchen, eure Fragen zu beantworten. Ihr hasst mich selbstredend, aber vielleicht kann ich euch in irgendeiner Form entschädigen. Denkt aber daran, das, was ich euch jetzt zeigen werden, ohne Vorurteile zu bewerten.«
Pálmi warf Kiddi Kolke einen Blick zu, und beide schauten zu Sævar Kreutz, der sich umgewandt hatte und den Saal in derselben Richtung verließ, aus der er gekommen war. Sie hatten keine Ahnung, was er damit meinte. Erik Faxell folgte ihnen nicht, sondern durchmaß den langen Saal mit schnellen Schritten und verließ das Haus, setzte sich ins Auto und fuhr zum Tor hinaus. Der Mann fürs Grobe machte sich aus dem Staub.
Vierundvierzig
»Ich sehe keinen Grund, irgendetwas zu leugnen. Wir haben Versuche mit einem Präparat gemacht, das ich damals entwickelte«, erklärte Sævar Kreutz. Kiddi Kolke und Pálmi waren ihm in sein Arbeitszimmer gefolgt. Bis zu dem Termin mit den Koreanern war noch eine halbe Stunde Zeit. Weder Kiddi Kolke noch Pálmi hatten sich einen Plan zurechtgelegt. Es war kinderleicht gewesen, eine Begegnung mit Sævar Kreutz zu erzwingen, der ihnen jetzt kerzengerade hinter seinem Schreibtisch gegenüber saß und keinerlei Gewissensbisse wegen dem zu haben schien, was er den Freunden von Kiddi Kolke angetan hatte. Es lag ihm augenscheinlich sehr daran, von seinen Großtaten zu berichten, aber er schien die Vorfälle von früher schnell abtun zu wollen, indem er nur in groben Zügen darauf einging. Er war eiskalt und schien keine von seinen Aktivitäten in der Vergangenheit zu bereuen oder zu bedauern. Ganz im Gegenteil, er machte einen äußerst selbstzufriedenen Eindruck. Es hatte den Anschein, als habe er noch etwas ganz anderes in petto und sei ganz begierig darauf, jemandem seine Genialität, seinen Scharfsinn und seine Kompetenz zu beweisen. Pálmi hatte das Gefühl, als hätte sich Sævar Kreutz seit langem danach gesehnt, sich endlich mitzuteilen, und dass sich jetzt ganz unerwartet die Möglichkeit dazu bot. Er biederte sich beinahe wie ein enger Vertrauter bei ihnen an und benahm sich ganz und gar nicht wie jemand, der zahlreiche Menschenleben zerstört hatte. Kiddi Kolke und Pálmi war es darum zu tun, Erklärungen zu bekommen und seine Taten an das Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Alles andere war momentan nicht wichtig.
»Ich habe es das Experiment ›Nordlicht‹ genannt«, sagte Sævar Kreutz. »Nach dem Gedicht von Einar Benediktsson, dem bedeutenden Dichter. Sah jemals des Menschen Sohn ein schöner’ Schauspiel als hohe Himmel in waberndem Licht? Selbstverständlich gehörte ebenfalls etwas Ungewissheit dazu, sie ist der wichtigste Faktor bei jeglicher wissenschaftlicher Arbeit. Damals wusste niemand Genaueres über die Wirkung des Medikaments und seine Nebenwirkungen, nicht so wie heute. Ihr kennt wahrscheinlich Amphetamin. Es wird bereits seit mehr als hundert Jahren in chemischen Labors hergestellt. Sein Nutzen zeigt sich, genau wie bei vielen anderen Medikamenten, am besten im Krieg; Soldaten sind die dankbarsten Versuchstiere, die es gibt, darüber sind sich die Wissenschaftler seit langem im Klaren. Amphetamin wurde während des spanischen Bürgerkriegs verwendet und im Zweiten Weltkrieg; es hielt die Soldaten tage-und nächtelang wach und stärkte den Kampfgeist. Ich will euch nicht mit Details langweilen, aber Amphetamin wirkt sich auf das Zentralnervensystem aus, es wird gegen Müdigkeit und Schlafbedürfnis eingesetzt. Später wurde es dann zu einem ganz alltäglichen Aufputschmittel. Die Rolling Stones haben es als ›Mother’s little helper‹ besungen. Natürlich wissen wir heute mehr darüber, beispielsweise auch, dass es als Droge auf dem schwarzen Markt verkauft wird. Wie heißt es doch noch? ›Speed‹, glaube ich. Als ich mich seinerzeit damit
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