Menschensoehne
arbeiteten, ließ er die drei ohne große Diskussion ein. Sævar Kreutz hatte erst kürzlich wieder in Erwägung gezogen, die Sicherheitsmaßnahmen zu verstärken und seine Wächter mit Waffen auszustatten, hatte dann aber immer wieder Abstand davon genommen, weil es möglicherweise Aufsehen erregt hätte. In Island fuchtelte man nicht mit Waffen herum. Was er da im Geheimen betrieb, blieb am besten auch geheim.
Erik Faxell hatte zunächst mit dem Gedanken gespielt, dem Sicherheitsbeauftragten von Kiddi Kolke und Pálmi zu erzählen und auf diese Weise Zeit zu gewinnen, um Sævar Kreutz vor den ungebetenen Gästen zu warnen, aber er unterließ es. Er hatte etwas Spielraum gehabt, die Optionen in dieser Situation durchzugehen, und er kam zu dem Schluss, dass Kiddi Kolke keine Probleme damit haben würde, den Wachtposten zu überwältigen. Er und Pálmi hatten Erik Faxell nicht aus den Augen gelassen, seit sie in sein Büro eingedrungen waren. Sie hatten zugehört, während er mit Sævar Kreutz telefonierte und um diese dringende Besprechung bat. Erik hatte keine Möglichkeit gehabt, Sævar davor zu warnen, dass seine Machenschaften aus der Vergangenheit aufgedeckt worden waren und dass die Polizei mit großer Wahrscheinlichkeit im Begriff war, einen Durchsuchungsbefehl zu erwirken, um sein Haus auf den Kopf zu stellen. Er dachte jetzt in allererster Linie daran, die eigene Haut zu retten. Sævar Kreutz konnte sich selbst mit diesen Männern auseinander setzen. Erik Faxell musste ungeschoren davonkommen, so einfach war das.
Sie betraten die monumentale Villa von Sævar Kreutz. Kiddi Kolke hatte sie einige Tage lang von außen belauert, doch als er eintrat, kam ihm das Haus viel größer vor, als er es sich vorgestellt hatte. Sie durchquerten die große Vorhalle und gelangten in einen riesigen Festsaal mit einem Kamin am anderen Ende. Pálmi staunte über die Gemälde an den Wänden, die von älteren und jüngeren isländischen Künstlern stammten, und es kam ihm so vor, als hinge dort auch ein Cézanne. Konnte das sein?, dachte er bei sich. Auf den Böden lagen Perserteppiche und Tierfelle. Antiquitäten und alte Möbel waren nach innenarchitektonischen Vorgaben auf den Raum verteilt. Pálmi hatte nie zuvor solchen Reichtum gesehen und wäre nie auf die Idee gekommen, dass es so etwas überhaupt geben könnte. Für einen Augenblick vergaß er sogar, weshalb er eigentlich dort war, vergaß seinen Bruder Daníel, seine Mutter und Daníels Klasse, Halldór und all das andere, er ging nur mit bedächtigen Schritten umher und starrte auf die Pracht und Herrlichkeit um ihn herum.
»Was sind das für Leute, die du da mitgebracht hast?«
Die Frage hallte durch den Saal, und Pálmi zuckte zusammen. Sie hatten den Kamin erreicht, ein überdimensionales Teil mit einem formschönen Kaminsims. Das prasselnde Feuer reichte beinahe aus, um den ganzen Saal zu erwärmen. Ein schlanker, großer Mann um die siebzig war aus einem Seitenzimmer am anderen Ende des Saals hinzugetreten. Er hatte eine schmale Nase, kleine Augen und so dünne Lippen, dass sie wie ein Strich im Gesicht wirkten. Die langen Finger hielten eine Zigarette. Er trug einen tadellos geschnittenen doppelreihigen Anzug mit einem dunkelblauen Seidenschal um den Hals.
»Sie haben darauf bestanden, dich zu treffen, und es war mir nicht möglich, sie daran zu hindern. Der eine ist ein Mann, den wir für tot gehalten haben. Er heißt Kristján Einarsson und war seinerzeit in dieser Klasse. Der andere heißt Pálmi und ist der Bruder von Daníel. Das ist der, der aus dem Fenster gesprungen ist. Sie haben mich gezwungen, mit ihnen hierher zu fahren, und ich hatte nicht die geringste Chance, dich zu warnen.«
Der Mann mit den dünnen Lippen und dem blauen Halstuch zeigte keinerlei Reaktion. Erik Faxell fuhr fort:
»Die Polizei ist uns auf der Spur. Sie haben die Kassetten, über die Halldór gesprochen hat. Wir müssen darauf gefasst sein, dass sie heute Abend oder morgen Früh hier erscheinen.« Erik Faxell verstummte.
Immer noch zeigte Sævar Kreutz keine Reaktion, und Schweigen legte sich über die Halle. Ihm schien es nicht das Geringste auszumachen, dass das alte Geheimnis ans Licht gekommen war. Er ging auf Kiddi Kolke zu, warf die Zigarette in den Kamin und zog anschließend ein goldenes Zigarettenetui aus der Tasche, dem er eine neue Zigarette entnahm.
»Du warst also auch in der Klasse«, sagte er zu Kiddi Kolke, der vor ihm stand. »Du bist derjenige, der
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