Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschensoehne

Menschensoehne

Titel: Menschensoehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
Vom Netzwerk:
stellte sich vor und zeigte ihm Daníels Klassenfoto.
    »Ja, das Bild wurde in der Víðigerði-Schule aufgenommen«, sagte der Fotograf, ein schlanker Mann, der sich flink bewegte, obwohl er auf die sechzig zuging. Er trug einen dünnen Oberlippenbart, für dessen Pflege er sich offensichtlich Zeit nahm. »Da mache ich immer noch Klassenfotos. Dieses hier ist alt und nicht besonders gut, ich habe es mit meiner allerersten Kamera aufgenommen. Damals war ich ein ziemlicher Anfänger und machte noch jede Menge Fehler. Siehst du, wie die Kinder alle strahlen, die hier in die Kamera blicken? Solche strahlenden Gesichter sehe ich schon seit langem nicht mehr. Sich fotografieren zu lassen, hat heutzutage bei all den Kinofilmen, Computerspielen, Videos und Satellitenfernsehen mit tausend Kanälen überhaupt keinen Reiz mehr. Damals war die Welt einfacher. Ein Foto war etwas Bedeutendes, etwas Bleibendes. Heutzutage will doch niemand mehr etwas aufbewahren. Alles, was von Dauer ist, ist nicht mehr gefragt. Was man nicht mehr brauchen kann oder leid geworden ist, wird weggeworfen, und man kauft sich unverzüglich etwas Neues und Besseres. In früheren Zeiten freuten sich die Kinder immer auf den Tag, an dem die Klassenfotos gemacht wurden, aber heute müssen sie fast dazu gezwungen werden, weil sie während der Zeit, die die Aufnahme in Anspruch nimmt, nicht vor dem Computer hocken können.«
    »Kannst du dich an irgendetwas im Zusammenhang mit diesem Foto erinnern?«, wagte Pálmi einzuwerfen, obwohl kaum anzunehmen war, dass der Fotograf ein so gutes Gedächtnis hatte.
    »Nein, selbstverständlich kann ich mich nicht an die Aufnahme erinnern, aber ich kann mich gut an den Lehrer erinnern, an diesen Halldór. Ist das nicht der, der gerade ermordet worden ist? Das war schon eine ziemlich merkwürdige Gestalt. Er war genauso gespannt wie die Kinder, wenn ich Fotos von seinen Klassen machte, und er kam anschließend immer zu mir ins Atelier und holte sich ein Exemplar ab, noch bevor ich die Fotos in der Schule verteilte. So was war mir nie zuvor untergekommen, und ehrlich gesagt, er war richtig lästig. Ich mag es nicht, wenn man mich drängt. Er brachte es fertig, aufzukreuzen, wenn ich noch dabei war, den Film zu entwickeln, und dann blieb er stur da stehen und wartete so lange, bis ich einige Exemplare für ihn vergrößert hatte. Ich habe immer mehrere Aufnahmen von jeder Klasse gemacht, denn Kinder können ja nie still stehen, sie popeln in der Nase, schauen in der Gegend herum und kichern. Mit einem Wort, völlig unmöglich vor der Kamera. Man muss immer einige Fotos zur Auswahl haben. Halldór wählte sich bei mir im Atelier die besten aus und machte sich dann aus dem Staub, ohne sich zu bedanken oder sich zu verabschieden. Ein komischer Typ. Er beschwerte sich darüber, dass andere Fotografen und ich die Kinder nicht jedes Jahr gleich aufstellten. Er wollte, dass dasselbe Kind die ganze Schulzeit hindurch am gleichen Platz stünde.«
    »Ich habe ihn nicht so genau gekannt.«
    »Wieso fragst du dann nach Halldór?«
    »Mein Bruder Daníel war in seiner Klasse. Der da, der auf dem Boden sitzt und zu Halldór hochschaut. Er ist ebenfalls vor kurzem gestorben. Ihm war dieses Klassenfoto etwas wert, und er hat es die ganze Zeit bei sich behalten. Die Jungen in der Klasse waren eng befreundet, sie haben ihre Namen hinten auf dem Bild verewigt. Bis auf einen sind alle tot.«
    »Tot? Alle? Was sagst du da? Die ganze Klasse?«
    »Ja. Vielleicht sind aber die drei Mädchen noch am Leben.«
    Während sich die Nachforschungen der Kriminalbeamten darauf konzentrierten, herauszubekommen, was aus den Jungen der Sonderklasse geworden war, versuchte Pálmi, die Namen der Mädchen auf dem Klassenfoto zu entziffern, um sie ausfindig zu machen. Sie waren nachlässig geschrieben und schon ziemlich verblasst. Sólveig Þrastardóttir hieß eine. Der Name des zweiten Mädchens schien Bára Kristjóns-oder Kristjánsdóttir zu sein. Die Dritte hieß Sara und hatte ihren Vatersnamen nicht hinzugefügt. Pálmi fand Sólveig im Telefonbuch und rief sie an. Sólveig hörte sich an, was er über Daníel erzählte, und fragte ihn, ob er von der Polizei sei. Als Pálmi das verneinte und sagte, dass er Daníels Bruder sei und gerne mehr über ihn wissen wollte, lud sie ihn zu sich nach Hause ein. Sie arbeitete zu Hause. Pálmi kam ihr Name irgendwie bekannt vor, und es stellte sich heraus, dass sie ausländische Filme und Fernsehserien für die

Weitere Kostenlose Bücher