Menschenteufel
Donaukanal und nordwärts. Immer wieder blickte er
in den Rückspiegel. Aus dem Kofferraum hörte er Klopfen. Er achtete nicht
darauf. Im Haus würde er den Mann aussteigen, seine Bedürfnisse verrichten und
wieder ohne Knebel atmen lassen. Bis dorthin musste er sich gedulden.
Vor ihm zeichnete sich ein heller werdender Streifen am Horizont ab.
Er verließ die Stadt. Um ihn öffnete sich die große Ebene. Die Straße wurde
eine lange Gerade. Selbst ganz weit hinten konnte er keine Verfolger ausmachen.
Er durfte sich nicht verrückt machen. Wahrscheinlich hatte sich jemand einen
Scherz erlaubt, bevor alles begonnen hatte. Er hatte es nicht bemerkt. Trotzdem
würde er auf der Hut bleiben.
Als er das Haus erreichte, war der Himmel nicht mehr ganz schwarz.
Er bog von der Straße zu der kleinen Ortschaft ab. Das Haus lag noch davor. Er
lenkte den Wagen von der Landstraße auf den Schotterweg bis zu seinem Ziel.
Geduckt lag es hinter einer hohen Eibenhecke unter zwei großen Bäumen. Er
stellte das Auto hinter den Büschen ab. Öffnete den Kofferraum. Der alte Mann
starrte ihn aus seinen unterlaufenen Augen an, kämpfte durch seine verstopfte
Nase um Luft. Er löste den Knebel seines Gefangenen, hievte ihn aus seiner
unbequemen Position, setzte ihn am Kofferraumrand ab, löste die Fesseln um die
Füße und brachte ihn zum Haus.
Mit Schmetterlingen
Freund fuhr aus unruhigem Schlaf hoch. Blitzschnell straffte er
sich zur Verteidigungshaltung. Sein ganzer Körper schmerzte. Hastig blickte er um
sich. Zu seiner Erleichterung befand er sich auf der Rückbank eines Autos.
Neben ihm unterhielt sich Lukas Spazier mit Marietta Varic auf dem
Beifahrersitz, Bruno Flatz lenkte.
Irritiert blickte Freund an sich herab. Er war von oben bis unten
weiß verpackt. Langsam kehrte die Erinnerung zurück. In seiner Not hatte er
zuerst die blutgetränkten Jeans angezogen. Nach der ersten Hektik wollte er sie
schnellstmöglich loswerden. Pascal Canella spendierte ihm einen Overall der
Spurensuche. Darunter trug Freund nichts.
Der Wagen hielt am Parkplatz der Zentrale. Sein Kopf fühlte sich
schwer an, die Augen dick. Auf der Autouhr war es vier Uhr morgens. Fast zwei
Stunden waren seit den Ereignissen in der Köstner-Villa vergangen. Freund stieg
aus.
Er überprüfte sein Handy. Keine Nachricht von Claudia, kein Anruf.
Gut. Sie hatte sich keine Sorgen gemacht und sich schlafen gelegt. Im Gehen
sandte er ein SMS , um sie nicht aufzuwecken.
»Alles in Ordnung. Melde mich in der Früh.«
»Was wolltest du mir erzählen?«, fragte er Lukas Spazier auf dem Weg
zum Lift.
»Zeige ich dir oben.«
Zuerst suchte Freund die Mannschaftsduschen auf. Lange ließ er
lauwarmes Wasser über seinen Körper rieseln. Das Brennen in den Abschürfungen
machte ihm nichts aus. Sauber war er längst. Das Wasser lief und lief. Eine
rituelle Waschung, dachte Freund.
Über den Schnitt auf seinem Bauch hatte der Arzt ein wasserdichtes
Pflaster geklebt. Freund hätte die Wunde gern inspiziert, aber er besaß kein
Ersatzpflaster.
Er wechselte in eine alte Uniformhose und eines seiner Reserve-T-Shirts.
Ohne Unterwäsche fühlte er sich halb nackt, aber vorläufig musste das genügen.
Zum Glück waren seine Segelschuhe einigermaßen unbeschadet geblieben.
Ein paar Minuten blieb er in seinem dunklen Büro sitzen. Er starrte
gegen die Schemen an den Wänden und ließ die Geschehnisse der vergangenen
Stunden vorbeiziehen. Nachdem der Horror abgeklungen war, versuchte er, sich
noch einmal an alle Details zu erinnern. Gab es Hinweise auf die Täter, die er
übersehen hatte? Aus Erfahrung wusste er, wie wichtig die kleinste Einzelheit
sein konnte. Schritt für Schritt ging er die Ereignisse der Nacht durch. Doch
sosehr er sich quälte, ihm fiel nichts mehr ein. Sie mussten wohl auf die
Ergebnisse von Pascal Canella und seinem Team warten.
Trotzdem waren sie ein enormes Stück weitergekommen. Sie wussten
jetzt, dass noch jemand anderer außer ihnen hinter dem Mörder her war. Jemand,
der nicht minder brutal und skrupellos war.
Langsam kochte in Freund Wut auf die Unbekannten hoch. Während
seiner Zeit bei der Polizei war er dreimal in akuter Lebensgefahr gewesen. Als
ganz junger Polizist war er bei der Schießerei zwischen Beamten und Bankräubern
unversehens zwischen die Fronten geraten. Noch heute überraschten ihn
Flashbacks. Das Gefühl des Schocks, als plötzlich von allen Seiten die
Projektile um ihn pfiffen und ihn wie durch ein Wunder verfehlten. Die
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