Menschenteufel
der
Leitung der Sonderkommission beauftragt. Du weißt, was das in meiner
gegenwärtigen Situation bedeutet.«
»Dass du überhaupt keine Zeit für deinen pflegebedürftigen Vater
hast, den du keinesfalls von Fremden betreuen lassen willst. Dass deine voll
berufstätige Frau sich darum kümmern soll. Dass …«
»Claudia …«
»… dass deine Kinder, elf und neun Jahre alt, Opasitter spielen
müssen. Dass …«
Er unterbrach sie. »Deshalb habe ich die Aufgabe auch abgelehnt.«
Diesmal klang das Schweigen überrascht. »Du hast …?«
Freund biss die Zähne zusammen, bevor er gestand: »Der Pepe hat die
Weigerung allerdings nicht akzeptiert.«
Claudia seufzte. »Was jetzt also?«
»Ich muss es tun.«
»Und deine ganze Familie muss mitspielen. Als Nächstes wirst du
Gruppenleiter. Ja, glaubst du denn, dass es dann besser wird?« Sie redete sich
in Rage. Er musste sie stoppen.
»Claudia …«
»Nix da, Claudia! Du weißt genau, dass du in dieser Position noch
mehr arbeitest! Um deinen Vater kannst du dich dann gar nicht mehr kümmern, das
ist dir ja wohl hoffentlich klar! Ich werde aber deshalb jetzt keine Umschulung
zur Altenpflegerin machen! Versteh mich nicht falsch, dein Vater soll
ordentlich gepflegt werden, meinetwegen auch im Kreis der Familie.«
»Er weigert sich ja, in ein Altersheim …«
»Wir sind in der glücklichen Lage, uns eine Ganztageskraft leisten
zu können! Du müsstest nur wollen! Glaubst du denn, er bekommt von deinem
idiotischen Motiv für dein Handeln überhaupt etwas mit? Nichts tut er! Und
wenn, wäre es ihm egal! Und zwar aus genau dem Grund, warum du meinst, es tun
zu müssen! Dass deine, im Übrigen ohnehin rudimentäre, persönliche Pflege eine
Art der Revanche dafür ist, dass er sich nie um dich gekümmert hat, das ist
doch ein frommer Wunsch! Ein Mensch wie er bekäme selbst dann kein schlechtes
Gewissen, wenn er noch bei Verstand wäre! Ist er aber nicht mehr. Dein Konzept
geht nicht auf! Und ich schaue dabei nicht länger zu. Wenn du arbeiten musst,
arbeite. Aber dann finde eine Lösung für deinen Vater, bei der deine Familie
nicht statt dir arbeiten muss. Und zwar ab sofort!«
Freizeichen.
Ab sofort. Er wusste, was das bedeutete. Zwei Mal in ihrer
zwanzigjährigen Beziehung hatte Claudia ihm Ultimaten gestellt. Beim ersten Mal
vor achtzehn Jahren hatte sie sich geweigert, ihn weiterhin in seiner
Wohngemeinschaft zu besuchen, solange deren letztes verbliebenes Mitglied, ein
zugegebenermaßen stinkfauler, schlampiger, schmutziger, schmarotzender, frecher
Bummelstudent dort lebte. Als er nach einem Monat immer noch da war, hatte
Claudia die Schraube angezogen. Freund durfte sie auch nicht mehr bei ihr
besuchen. Ein Monat später hatten sie die Wohnung für sich.
Das zweite Mal war erst sechs Jahre her. Fünf Jahre zuvor war seine
Mutter ebenso schweigend gestorben, wie sie neben ihrem tyrannischen,
egozentrischen, ehebrecherischen Mann gelebt hatte. Danach brach Freund jeden
Kontakt zu seinem Vater ab. Dieser reagierte zunächst trotzig und meldete sich
auch nicht mehr. Doch seine Art hatte ihn einsam gemacht und das Alter mürbe.
Irgendwann bemühte er sich wieder um Kontakt. Er rief an, er schickte den
Kindern Geschenke zum Geburtstag, zu Weihnachten, Ostern und sogar am
Namenstag. Freund meldete sich trotzdem nicht.
Claudia hatte ihren Schwiegervater wegen seiner Art zwar nie
besonders leiden können. »Aber er ist dein Vater«, erklärte sie eines Tages.
»Er wird alt. Er bemüht sich. Auf seine Weise.« Ein halbes Jahr hatte sie die
fortdauernde Weigerung ihres Mannes noch akzeptiert. Dann forderte sie ihn auf,
den Vater zu treffen. Er wollte nicht. Mit den Mitteln einer Frau hatte sie ihn
schließlich doch dazu gebracht.
Das hatte sie nun davon.
Das hatte er nun davon.
Wie sollte er das Problem sofort lösen? Er musste die größte
Sonderkommission der vergangenen Jahre leiten! In ein paar Wochen, wenn hoffentlich
alles vorbei war, dann. Er hatte keine Zeit zum Grübeln. Eine schnelle
Entscheidung musste her. Zu Hause wartete seine Frau, im Einsatzraum ein
Dutzend oder mehr Beamte.
In der Sokozentrale saßen fünfzehn Beamte hinter den Computern.
Manche tippten. Andere starrten auf den Bildschirm und bewegten nur die Hand
mit der Maus. Allein sieben telefonierten. Der Tisch war überhäuft mit
Unterlagen. Dazwischen ragten halb volle Gläser und Becher heraus. An einem
Ende wühlten sich zwei Männer durch Papierstapel. Vier Ventilatoren
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