Menschenteufel
Verstand verabschiedet hatte, zählten ohnehin nur mehr die Gefühle.
Frau Feiler plauderte weiter und wunderte sich nicht über manche
sinnlose Antwort. Als auch ihr Mann zu sprechen anfing, sahen ihn die beiden
Freunds überrascht an. Seine hohe und samtige Stimme stand im krassen Gegensatz
zum vierschrötigen Äußeren. Hätte er sie früher eingesetzt, hätten Laurenz und
Oswald Freund ihm weniger reserviert gegenübergesessen. Er bat den alten
Freund, ihnen sein Haus und den Grund zu zeigen. Der Greis kam der Bitte nach,
auch wenn er nach wie vor nicht verstand, welchen Grund ihre Anwesenheit hatte.
Die Feilers folgten ihm und begleiteten seine Ausführungen mit interessierten
Kommentaren. Es war drei Uhr vorbei, als sie sich schließlich verabschiedeten.
Am Gartentor versprach ihnen Laurenz Freund, sich in den nächsten Tagen zu
entscheiden.
Auf seiner Fahrt in den Garten hatte er noch Termine mit drei
weiteren Pflegerinnen und Pflegern vereinbart. Während er dem Wagen der Feilers
nachsah, rief er in der Einsatzzentrale an und teilte mit, dass er heute nicht
mehr kommen konnte.
Nachdenklich kehrte er durch das Summen der Bienen in den
Heckenrosen zum Häuschen zurück. Unsquare Dance. Es war Tognazzi.
»Wo bist du denn? In einer halben Stunde haben wir unseren Termin
bei Bashtrin.«
Wusste sie von nichts?
»Ich kann nicht.«
»Ich brauche einen Partner für den Termin.«
»Ich muss meinen Vater hüten.«
»Alle anderen sind eingeteilt. Es ist gleich bei euch um die Ecke im
neunzehnten Bezirk. Dauert höchstens eine Stunde. Nimm deinen Vater mit und
lass ihn im Auto. Wäre ja nicht das erste Mal, was man so hört. Bitte, du
kannst uns jetzt doch nicht so im Stich lassen!«
In Freund rangen Trotz und Pflichtgefühl miteinander. Er war sauer
auf den Pepe, Obratschnik und Wagner. Aber was konnte Tognazzi dafür?
»Ich habe außerdem Neues herausgefunden. Eine der Firmen, in denen
Wuster noch ein Mandat hielt, scheint auf Umwegen auch zu Bashtrins Unternehmenskonglomerat
zu gehören.«
Sein Vater hörte CD s auf der
Hollywoodschaukel. Vielleicht sollte er ihm einmal einen mp3-Player kaufen?
Für eine Stunde konnte er auch im Auto Musik hören.
»Sag mir die Adresse.«
In natura sah Jetmir Bashtrin noch besser aus als auf dem Bild.
Er hatte etwas Verwegenes an sich und überragte Freund um einen halben Kopf.
Die Hand, die er dem Kommissar zur Begrüßung entgegenstreckte, war schlank wie
seine ganze Erscheinung. Tailliert geschnittener nachtblauer Anzug, schmale Hose.
Keine Krawatte. Der geöffnete oberste Hemdknopf verlieh dem Outfit einen
sportlichen Touch. Am rechten Ringfinger trug er einen schmalen Goldring. Der
perfekte moderne Dandy, gepflegt, aber nicht gelackt.
Zum Glück stammte Freunds erster Eindruck aus der Verbrecherkartei.
Mutmaßlicher Verbrecher. Sonst würde ihn dieses Lächeln jetzt womöglich auch um
den Finger wickeln.
Serena Tognazzis ostentative Verachtung quittierte Bashtrin mit
einem Raubtiergrinsen während des Handkusses.
»Die bezaubernde Dottoressa Tognazzi.«
Die Inspektorin war zu verblüfft, um ihre Hand rechtzeitig in
Sicherheit zu bringen. Als sie es versuchte, war alles schon vorbei, und
Bashtrin gab sie ihr zurück. Verärgert betrachtete sie ihre abgespreitzten
Finger, wie um sicherzugehen, dass noch alle dran waren.
Das Büro lag in einer Villa im neunzehnten Bezirk. Vor dem Gartentor
wachten Kameras. Am Eingang hatten sie einen bewaffneten Portier passieren
müssen. Hatte ein normaler Geschäftsmann so etwas nötig?
Auch wenn er sich dagegen wehrte, die Einrichtung des Hauses fand
Freund einladend. Sie saßen auf einer klimatisierten Veranda mit Gartenblick.
Der Glastisch spiegelte die Fenster. Die lachsfarbenen Polstersessel
korrespondierten mit der pfirsichfarbenen Wand. Als Einzige nicht ins Arrangement
passte die plumpe alte Frau im schwarzen Kleid, die mit traurigen Augen Eistee
servierte.
Als hätte Bashtrin seine Gedanken gelesen, erklärte er, nachdem sie
den Raum verlassen hatte: »Die ehemalige Hausangestellte meiner Mutter selig.
Ich habe sie nach Wien geholt, nachdem sie im Krieg alles verloren hatte. Sie
hilft ein bisschen aus. Eigentlich sollte sie längst ihren Ruhestand genießen.
Aber sie besteht darauf. Also tue ich ihr den Gefallen.« Ein Menschenfreund
also. Sein Deutsch war akzentfrei.
»Sie sind wegen Frau Rother und Herrn Murnegg-Weiss hier? Ich
fürchte, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen. Aber ich beantworte natürlich gern
alle
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