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Menschenteufel

Menschenteufel

Titel: Menschenteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Raffelsberger
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erreichbar.«
    Er verließ das Büro und seine sprachlosen Kollegen. Wenn er für
seinen Vater kein Disziplinarverfahren an den Hals bekam, für diese Brüskierung
des Polizeipräsidenten durfte er garantiert damit rechnen. Großartig. Soeben
war seine Karriere bei der Wiener Kriminalpolizei zu Ende gegangen. Als er den
Flur betrat, fühlte er sich plötzlich sehr elend.

Sisyphos tippte auf dem Computer
    In einem ziemlich toten Winkel am Rand von Erdberg, dem dritten
Wiener Gemeindebezirk, eingezwängt zwischen Autobahnkreuz, Sportplatz und
Industriegebiet, verbargen sich Schätze. Hinter der spektakulär langweiligen
und gesichtslosen Achtzigerjahrefassade des Österreichischen Staatsarchivs
fanden sich mehr als achthunderttausend Dokumente aus über einem Jahrtausend.
Hier, und in den beiden ehemaligen Archivgebäuden in der Johannesgasse und am
Minoritenplatz lagerten sämtliche noch erhaltenen Dokumente der Zentralbehörde
der ehemaligen Habsburgerdemokratie und der obersten Organe des Heiligen
Römischen Reiches, erklärte die redselige Archivmitarbeiterin der jungen
Kriminalinspektorin Lia Petzold.
    Sie musste etwa fünfzig Jahre alt sein und hätte gut als Verkäuferin
in eine gehobene Damenbekleidungsboutique gepasst. Keine Rede von verstaubter
Bibliotheksmaus.
    »Im Archiv der Republik, einer eigenen Abteilung des Staatsarchivs,
ist man für Bewertung, Skartierung, Übernahme und Verwahrung, die Sicherung,
Erhaltung und Instandsetzung, Erschließung, Erfassung und Nutzbarmachung von
Schriftstücken zuständig, die von österreichischen Zentralbehörden nach 1918
produziert wurden. Hier müssten wir Ihren Akt finden, falls es ihn gibt.«
    Ein schier aussichtloses Unterfangen im Beamtenstaat Österreich,
dachte Petzold. Vor ihr stand demnach eine moderne, weibliche Inkarnation des
Sisyphos – und tippte auf ihrem Computer.
    »Da haben wir schon etwas: Die Akten der Jahrgänge 1948 bis 1955
wurden vom Bundesministerium für Inneres im Jahre 1982 dem Allgemeinen
Verwaltungsarchiv übergeben und so weiter und so fort … Inhalt: Abwicklung der
internationalen Zusammenarbeit auf kriminalpolizeilichem Gebiet; allgemeine
Normen und Instruktionen auf kriminalpolizeilichem Gebiet; Strafgesetzgebung;
Bearbeitung von Kriminalfällen besonderer Bedeutung und Weisungen in solchen
Fällen an die nachgeordneten Sicherheitsbehörden; Koordinierung der
kriminalpolizeilichen Tätigkeit der verschiedenen Exekutivkörper;
kriminalpolizeiliche Konferenzen; internationale Aktionen zur
Verbrechensbekämpfung; kriminaltechnische Untersuchungen; Eisenbahnunglücke;
Brandstiftungen, Auffindungen von Leichen und Leichenteilen; Geldfälschungen,
Münz- und Kunstdiebstähle; Mord- und Entführungsfälle; Terroranschläge. Wie,
sagten Sie, war der Name?«
    »Thomas, Tommins oder so ähnlich. Ein US -Amerikaner.
Ich habe es selber schon über Ihr Internetsuchsystem versucht, aber da habe ich
nichts gefunden.«
    Tipptipp.
    Kopfschütteln. Tipptipp. »Genauer haben Sie es nicht?«
    »Leider.«
    »Ich habe alles mit Tom und Thom am Anfang ausprobiert. Aber da
finde ich nichts. Die Aktenarchivierung beginnt auch erst mit 1948. Vielleicht
hat Ihre es gerade nicht mehr geschafft und ist zerstört oder irgendwo verloren
gegangen. Die Jahrgänge 56 bis 58 etwa wurden auch alle vernichtet, weiß der
Himmel, warum.«
    Tipptipp. »Warten Sie! Da ist etwas: Ermittlungen in der Auffindung
des Leichnams des Alvin Tomlins am 18. März 1948. Aktenzeichen blabla …
wollen Sie das einmal sehen?«
    Tomlins. Alvin mit A am Anfang, wie Schmöger es gesagt hatte.
    Die Archivarin verschwand. Petzold ließ sich auf einem Stuhl nieder
und begann in Broschüren zu blättern.
    Alte Verbrechensakten zu finden war gar nicht so einfach, hatte sie
festgestellt. Fragte man die Kollegen, wussten sie es nicht. Petzold hatte ein
paar E-Mails gebraucht, bis sie an die richtigen Informationen geraten war. Im
Gegensatz zu den Schachtelarchiven auf raumhohen Aluminiumgerüsten in
amerikanischen Fernsehkrimiserien fanden Akten in Österreich ein ausgesprochen
solides Ausgedinge. Nach gutem Abhängen in einer Dienststelle wurden sie dem
Österreichischen Zentralarchiv übergeben. Dort lagen sie für jede und jeden
einsichtig hinter dicken Türen irgendwo in den 177.700 Regallaufmetern. Nun
musste man sie zwischen all den anderen Papieren aus den letzten Jahrhunderten
nur mehr finden.
    Nach etwa zwanzig Minuten kehrte die moderne Frau Sisyphos mit einer
wenig versprechend

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