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Menschenteufel

Menschenteufel

Titel: Menschenteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Raffelsberger
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Neubau weichen müssen. Auf dem großzügigen Spielplatz unter ihren Kronen
tollten ausgelassen Kinder herum. Niemand beachtete die Inspektorin, als sie
aus der Durchfahrt trat. Innen befand sich das Haus in einem besseren Zustand.
Die ordentlich verputzten Fassaden leuchteten in frischem Gelb.
    Petzold wollte eine der Frauen fragen, die als Aufsichtspersonen am
Rand des Spielplatzes standen oder sich mit den Kindern beschäftigten, als sie
neben der Durchfahrt die Tür mit dem Schild »Direktion« entdeckte.
    Sie klopfte und trat ein. Der Raum war zuletzt in den fünfziger
Jahren eingerichtet und dekoriert worden. Hinter einem abgewetzten hellen
Schreibtisch blickte ihr eine üppige Mittfünfzigerin mit schwungvoller blonder
Haarpracht und Hermèstuch entgegen, die tadellos eine Freundin von Doreen
Niklics Mutter darstellen konnte.
    »Guten Tag, ich bin Inspektor Petzold. Wir haben miteinander
telefoniert.«
    »Paula Sinner, freut mich«, erwiderte die Heimleiterin und kam ihr
überraschend leichtfüßig entgegen. Eine Wolke süßlichen Parfums holte ihre
Besitzerin ein und umhüllte nun auch Petzold. Ohne weit auszuholen, erklärte
sie der Frau, warum sie hier war.
    »Der erste Heimleiter nach dem Krieg war Gottfried Mandtner«, sagte
Sinner. »Ein reizender Mensch, den ich in jungen Jahren noch selber
kennenlernen durfte. Er führte das Haus bis in die späten sechziger Jahre,
bevor er leider viel zu jung starb.«
    Sinner hatte Petzold in eine gemütliche Sitzecke gebeten und kaltes
Mineralwasser serviert.
    »Von der Geschichte, die Sie da erzählen, habe ich nie etwas gehört.
Aber Sie können gern in unserem Archiv stöbern. Kommerzialrat Mandtner hat uns
nach seinem Tod all seine Unterlagen vermacht. Ich muss gestehen, dass ich sie
nie genauer studiert habe. Dazu fehlte mir die Zeit. Obwohl es so viele
eigentlich gar nicht sind.«
    Mit einem Zwinkern beugte sie sich vertrauensvoll zu Petzold und
legte ihr eine Hand auf den Unterarm.
    »Aber, ehrlich gesagt, wahnsinnig interessiert haben sie mich auch
nicht. Ein Heim wie dieses führt man heute schließlich ganz anders als vor
fünfzig Jahren.«
    »Wenn Sie mich wirklich einen Blick …«
    »Natürlich! Folgen Sie mir.«
    Ihre kurzen Schritte auf den hohen Stöckeln klangen auf den
Sandsteinplatten der Flure wie Schläge eines kleinen Hammers. Obwohl die
Heimleiterin einen Kopf kleiner war als Petzold, hatte die Inspektorin Mühe,
ihr zu folgen. Sie passierten zahllose Türen mit Täfelchen, die verschiedene
Funktionen der Räume dahinter beschrieben. Andere trugen nur Namen. Überall an
den Wänden hingen Kinderzeichnungen. Petzold fühlte sich an eine Schule
erinnert. Unterwegs erzählte Sinner ein wenig aus der Geschichte des Hauses und
mehr über ihre Rolle darin.
    Mariabitt war bereits zu Kaisers Zeiten von einem Bankier gestiftet
worden. Aus den Stiftungserträgen konnte es bis weit in die siebziger Jahre
betrieben werden. Ende der Achtziger hatte die Stadt Wien die Trägerschaft
übernommen. Seit fast zehn Jahren stand Frau Sinner an seiner Spitze.
    Im zweiten Stock hielt sie schließlich vor einer verwitterten Tür,
die sie mit einem Schlüssel ihres klimpernden Bundes öffnete. Vor Petzold
liefen vier vollgeräumte Regalreihen auf die Wand mit den Fenstern zu. Das
Gegenlicht ließ die Regale und ihren Inhalt noch staubiger erscheinen. Sinner
führte sie in die zweite links.
    »Hier finden Sie die Nachkriegszeit. Da sind auch Mandtners
Unterlagen.«
    Petzold unterdrückte ein Stöhnen. In den Ablagen stapelten sich
Dutzende verstaubte Kartonschachteln, Ordner, Hefte, Papierrollen. Hier konnte
man Tage verbringen.
    »Die Beschriftung ist ein wenig rudimentär«, entschuldigte sich
Sinner. »Diese sieben Boxen enthalten Mandtners Aufzeichnungen. Daneben sehen
Sie noch andere Dokumente aus seiner Amtszeit. Broschüren, Festschriften,
Fotoalben, Sie werden ja sehen. Ich muss zurück. Wenn Sie was brauchen, wissen
Sie ja, wo Sie mich finden.«
    Gedämpft entfernten sich Sinners Hämmerchenschritte und ließen
Petzold allein in der düsteren Staubhölle zurück. Archive wären auch so ein
Fall für ihren Guide d’Odeur. Aufs Geratewohl griff Petzold nach einem der
Büchlein neben Mandtners Kartons. Dass sie damit das mühselige Durchforsten der
Schachteln nur aufschob, war ihr durchaus bewusst. Diesen kurzen Anlauf
brauchte sie noch. Später würde sie ihre Entscheidung wechselweise als Pech,
Glück oder Schicksal bezeichnen.
    Die Festschrift zum

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